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Der Sandmann: Kriminalroman (German Edition)

Der Sandmann: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Sandmann: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Lars Kepler
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weiter vor, mustert Jurek Walter aufmerksam und legt sich anschließend flach auf den Boden.
    Jetzt kann er den Mann nicht mehr im Auge behalten. Er muss ihm den Rücken zukehren, um nach dem Messer suchen zu können.
    Schwaches Licht fällt unter das Bett. Entlang der Wand liegen Wollmäuse.
    Unwillkürlich stellt er sich vor, Jurek Walter hätte die Augen geöffnet.
    Etwas ist zwischen Lattenrost und Matratze gesteckt worden. Es ist schwer zu erkennen, was es ist.
    Anders Rönn streckt sich, kommt aber nicht an den Gegenstand heran. Er muss sich auf dem Rücken unter das Bett schieben. Dort ist so wenig Platz, dass er den Kopf nicht drehen kann. Er zieht sich weiter unter das Bett und spürt bei jedem Atemzug den Druck des Bettgestells auf seinem Brustkorb. Seine Finger tasten, aber er muss sich noch etwas weiter hineinschieben. Ein Knie stößt gegen eine Latte. Er bläst eine Staubflocke von seinem Gesicht fort und bewegt sich langsam weiter.
    Plötzlich ertönt hinter ihm im Isolierzimmer ein dumpfer Knall, aber er kann sich nicht umdrehen und hinsehen. Also bleibt er still liegen und lauscht, aber seine eigenen Atemzüge gehen so schnell, dass er Mühe hat, andere Geräusche wahrzunehmen.
    Vorsichtig streckt er die Hand aus, erreicht den Gegenstand mit den Fingerspitzen, rutscht noch ein Stück weiter und bekommt ihn zu fassen.
    Jurek Walter hat aus einem Stück Stahl ein kurzes Messer mit einer Klinge hergestellt.
    »Kommen Sie«, ruft der Oberarzt durch die Luke.
    Anders Rönn versucht, sich wieder hinauszuwinden, und kratzt sich dabei die Wange auf.
    Irgendwo hängt er fest, er kommt nicht weiter, sein Arztkittel hat sich verfangen, und es ist unmöglich, ihn im Liegen abzustreifen.
    Er glaubt, scharrende Bewegungen von Jurek Walter zu hören, aber vielleicht hat er sich auch geirrt.
    Anders Rönn zieht, so fest er kann. Die Nähte knirschen, aber sie halten. Er weiß, dass er sich wieder unter das Bett schieben muss, um den Kittel loszumachen.
    »Was tun Sie denn da?«, ruft Roland Brolin mit aufgeregter Stimme.
    Die kleine Luke in der Tür klirrt und wird wieder verriegelt.
    Anders Rönn sieht, dass eine Tasche seines Kittels an einer lose herabhängenden Bettlatte hängen geblieben ist. Er macht sie rasch los, hält die Luft an und windet sich erfüllt von wachsender Panik hinaus. Das Bett schürft über Bauch und Knie, dann bekommt er mit einer Hand einen Bettpfosten zu packen und zieht sich hinaus.
    Jurek Walter liegt auf der Seite, ein Auge ist im Schlaf halb geöffnet und starrt blind vor sich hin.
    Anders Rönn geht mit schnellen Schritten zur Tür, begegnet durch das Panzerglas hindurch dem erregten Blick des Oberarztes und versucht zu lächeln, aber als er spricht, ist seiner Stimme der Stress anzuhören:
    »Machen Sie die Tür auf.«
    Roland Brolin öffnet stattdessen die Luke:
    »Erst geben Sie mir das Messer.«
    Anders Rönn sieht ihn fragend an und streckt das Messer durch die Luke.
    »Sie haben doch noch etwas gefunden«, sagt Roland Brolin.
    »Nein«, widerspricht Anders Rönn und sieht Jurek Walter an.
    »Einen Brief.«
    »Da war sonst nichts.«
    Jurek Walter beginnt, sich auf dem Boden zu winden und schwach zu schnaufen.
    »Schauen Sie in seinen Taschen nach«, sagt der Oberarzt und lächelt gestresst.
    »Warum?«
    »Weil das eine Visitation ist.«
    Anders Rönn macht kehrt und nähert sich vorsichtig Jurek Walter. Seine Augen sind wieder geschlossen, aber auf dem faltigen Gesicht haben sich Schweißperlen gebildet.
    Widerwillig bückt sich Anders Rönn und greift in eine der Taschen. Der Jeansstoff des Hemds strafft sich auf den Schultern, und Jurek Walter brummt leise.
    In der Gesäßtasche steckt ein Plastikkamm. Zitternd durchsucht Anders Rönn die engen Taschen.
    Von seiner Nasenspitze tropft Schweiß, und er muss heftig blinzeln.
    Jurek Walters große Hand schließt sich mehrmals.
    Die Taschen sind leer.
    Anders Rönn schaut zum Panzerglas und schüttelt den Kopf. Er kann nicht sehen, ob Brolin hinter der Tür steht. Das Licht der Deckenlampe spiegelt sich in ihrem Glas wie eine graue Sonne.
    Er muss jetzt hier raus.
    Es ist schon zu viel Zeit verstrichen.
    Anders Rönn richtet sich auf und eilt zur Tür. Der Oberarzt ist nicht mehr da. Anders geht ganz nahe an das Glas heran, sieht aber nichts.
    Jurek Walter atmet so schnell wie ein Kind, das einen Albtraum hat.
    Anders Rönn hämmert gegen die Tür. Seine Hände knallen fast lautlos gegen das dicke Metall. Er hämmert noch einmal.
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