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Der Sandmann: Kriminalroman (German Edition)

Der Sandmann: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Sandmann: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Lars Kepler
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Er hört nichts, und es geschieht nichts. Er klopft mit seinem Ehering an die Glasscheibe und sieht dann an der Wand einen Schatten wachsen.
    Ein Schauer läuft ihm über Rücken und Arme. Mit pochendem Herzen und Adrenalin im Körper dreht er sich um und sieht, dass Jurek Walter sich langsam aufsetzt. Sein Gesicht ist schlaff, und der Blick seiner hellen Augen geht ins Nichts. Er blutet immer noch aus dem Mund, und seine Lippen sehen seltsam rot aus.

4
    Anders Rönn hämmert gegen die schwere Stahltür und ruft, aber der Oberarzt macht ihm nicht auf. Als er sich wieder dem Patienten zuwendet, hämmert der Puls in seinem Kopf. Jurek Walter sitzt auf dem Boden, blinzelt ihn mehrmals an und macht Anstalten aufzustehen.
    »Es ist eine Lüge«, sagt Jurek Walter so, dass Blut auf sein Kinn spritzt. »Man behauptet, ich sei ein Monster, aber ich bin nur ein Mensch …«
    Zum Aufstehen fehlt ihm die Kraft, stattdessen sinkt er keuchend auf den Fußboden zurück.
    »Ein Mensch«, murmelt er.
    Mit einer müden Bewegung schiebt er eine Hand unter sein Hemd, zieht ein zusammengefaltetes Blatt Papier heraus und wirft es Anders Rönn vor die Füße.
    »Der Brief, nach dem er gefragt hat«, erläutert er. »Sieben Jahre lang habe ich darum gebeten, einen Anwalt sprechen zu dürfen … Es geht mir gar nicht darum, dass ich mir Hoffnungen mache, hier jemals wieder herauszukommen … Ich bin der, der ich bin, aber ich bin immer noch ein Mensch …«
    Anders Rönn bückt sich und streckt sich nach dem Blatt, ohne Jurek Walter aus den Augen zu lassen. Der runzlige Mann versucht erneut aufzustehen, stützt sich auf die Hände und wankt, schafft es aber, einen Fuß auf den Boden zu setzen.
    Anders Rönn hebt das Blatt vom Boden auf, weicht zurück und hört endlich ein klirrendes Geräusch, als ein Schlüssel ins Türschloss gesteckt wird. Er dreht sich um, starrt durch das Panzerglas und spürt, dass er weiche Knie hat.
    »Sie hätten mir keine Überdosis geben sollen«, murmelt Jurek Walter.
    Der junge Arzt dreht sich nicht um, weiß aber, dass Jurek Walter nun steht und ihn ansieht.
    Das Panzerglas in der Tür ist wie eine Scheibe aus trübem Eis. Es lässt sich nicht erkennen, wer auf der anderen Seite steht und den Schlüssel im Schloss dreht.
    »Aufmachen, aufmachen«, flüstert er und hört Atemzüge hinter seinem Rücken.
    Die Tür geht auf, und Anders Rönn stolpert aus der Isolierzelle. Er schlägt gegen die Betonwand des Flurs und hört den dumpfen Knall, als die Tür geschlossen wird, und das Klackern, als der schwere Mechanismus des Schlosses auf das Drehen des Schlüssels reagiert.
    Keuchend lehnt er sich an die kühle Wand, dreht sich um und sieht, dass nicht der Oberarzt ihn gerettet hat, sondern die junge Frau mit den gepiercten Wangen.
    »Ich begreife nicht, was passiert ist«, sagt sie. »Brolin muss den Verstand verloren haben, denn sonst nimmt er es mit der Sicherheit immer sehr genau.«
    »Ich werde mit ihm reden …«
    »Vielleicht ging es ihm ja nicht gut … ich glaube, er ist zuckerkrank.«
    Anders Rönn wischt seine feuchten Handflächen am Arztkittel ab und sieht die Frau an.
    »Danke, dass Sie mir aufgemacht haben«, sagt er.
    »Für Sie tue ich doch alles«, erwidert sie scherzhaft.
    Er versucht, ihr sein lockeres, jungenhaftes Lächeln zu schenken, aber als er sie durch die Sicherheitstür begleitet, schlottern seine Knie. Sie bleibt an der Überwachungszentrale stehen und sieht ihn an.
    »Das einzige Problem bei dem Job hier unten«, sagt sie, »ist ehrlich gesagt, dass es so verdammt ruhig ist, dass man eine Menge Süßigkeiten futtern muss, um sich wachzuhalten.«
    »Das hört sich doch gut an.«
    Auf einem Monitor sieht man Jurek Walter, der auf seinem Bett sitzt und den Kopf in die Hände gestützt hat. Der Aufenthaltsraum mit dem Fernseher und dem Laufband ist verwaist.

5
    Den restlichen Tag verwendet Anders Rönn darauf, sich mit den neuen Arbeitsabläufen mit Visiten auf Station 30, individuellen Therapieplänen und Entlassungsgutachten vertraut zu machen, aber seine Gedanken schweifen immer wieder zu dem Brief in seiner Tasche und zu Jurek Walters Worten ab.
    Um zehn nach fünf verlässt er die Gerichtspsychiatrie und tritt in die kühle Winterluft hinaus. Jenseits des beleuchteten Krankenhausgeländes hat sich die Winterdunkelheit herabgesenkt.
    Er wärmt seine Hände in den Jackentaschen und eilt über das Straßenpflaster auf den großen Parkplatz vor dem Haupteingang des
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