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Der Ruf des Kulanjango

Der Ruf des Kulanjango

Titel: Der Ruf des Kulanjango
Autoren: Gill Lewis
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gestern Abend geleistet hast.«
    »Aber Mum …«
    »Wir gehen am Vormittag in die Stadt«, sagte Mum und goss mir Tee ein. »Dad muss Schaffutter besorgen und ich hab ein paar Einkäufe zu erledigen.«
    »Ich möchte hierbleiben«, jammerte ich, »bei Graham.«
    »Er ist noch im Bett«, sagte Mum. »Du kommst mit uns.«
    Ich knallte meinen Löffel in die Schüssel. »Das ist gemein.«
    Dad schaute mich über den Zeitungsrand an und seufzte. »Ich bräuchte jemanden, der auf diese beiden Lämmer aufpasst. Ihre Mutter hat sie letzte Nacht nicht an sich rangelassen. Wir müssen sie mit der Flasche aufziehen, bis wir ein anderes Mutterschaf finden.«
    »Ich kann das machen«, bot ich an. »Ich möchte nicht in die Stadt.«
    Mum funkelte Dad zornig an und drehte sich dann zu mir. »Ach, du stehst mir ja sowieso nur im Weg rum. Wenn du versprichst, dich in der Nähe des Hofes aufzuhalten, kannst du bleiben.«
    »Versprochen«, grinste ich. Aber unter dem Tisch hielt ich meine Finger gekreuzt.
    Ich stand am Spülbecken, rührte Milchpulver für die Lämmer in eine Kanne mit warmem Wasser und beobachtete, wie Mum und Dad den Weg hinunterfuhren. Nachdem ich die Milch in zwei saubere Flaschen umgefüllt und sie in meiner Jacke verstaut hatte, packte ich meinen Rucksack und zog zum Schafstall. Als ich reinging, blökten die beiden Lämmer bereits vor Hunger. Bald hatten sie die Milchfläschchen ausgenuckelt und lutschten stattdessen an meinem Jackensaum. Draußen, auf dem Hof, heulte der Motor des Traktors auf. Wenn mich Graham sah, würde ich ihm den ganzen Tag helfen müssen. Also stellte ich die Flaschen in einen Eimer an der Tür und kroch auf der Rückseite des Stalls durch eine Lücke in der Bretterwand nach draußen.
    Die Luft war klar und stechend kalt. Die Pfützen glänzten im hellen Sonnenlicht. Es hatte nachts heftig geregnet. Ich machte mich über den Bergrücken auf zum See im nächsten Tal.
    Iona wartete auf mich.
    »Bist du also doch gekommen«, stellte sie fest.
    Wir standen an der Stelle, von der aus ich ihre Fußspuren in den Wald verfolgt hatte.
    Ich nickte. »Und was ist nun das Geheimnis?«
    »Das wirst du schon noch herausfinden«, sagte Iona.
    »Besser wär’s«, brummte ich.
    Sie drehte sich um und ging auf den Wald zu.
    Die Kiefern machten Eichen und Birken und Wildkirschen Platz. Ich hatte geglaubt, ich würde jedes Fitzelchen unseres Landes kennen. Schließlich war ich hier aufgewachsen und hatte mit Rob und Euan schon überall Lager gebaut. Aber dieser Pfad durch das Gehölz kam mir fremd vor.
    Iona hielt am Rand einer Lichtung an. Vor uns lagen auf einem sonnenbeschienenen Platz riesige Felsbrocken im weiten Rund. Ich lehnte mich an einen und zupfte mit den Fingern ein bisschen feuchtes Moos ab. Der helle Stein darunter glänzte in der Frühlingssonne. Gut möglich, dass dieser Platz einmal ein Versammlungsort für die alten schottischen Kriegerfürsten gewesen war.
    Iona legte die Finger an die Lippen. »Das sind Feensteine«, flüsterte sie.
    »Feensteine!«, sagte ich. »Du hast mich den ganzen Weg hierher geführt, um mir Feensteine zu zeigen?«
    Iona kicherte. »Schsch! Glaubst du etwa nicht an Feen, Callum?«
    Ich schaute sie böse an. »Ich geh jetzt heim.«
    Iona lehnte sich gegen den Stamm eines Baumes. Es sahso aus, als würde sie versuchen, nicht zu lachen. Sie tippte mit den Fingern an die Rinde. »Kannst du klettern?«, fragte sie.
    Ich schaute hoch in den Baumwipfel. Es war eine alte Eiche, die vor einigen Jahren vom Blitz getroffen worden war. Der gespaltene Stamm hob sich wie eine schartige Narbe vor dem Himmel ab. Die nächsten Äste lagen außer Reichweite und die Rinde war feucht und von Moos überzogen.
    »Da hochklettern?«, blaffte ich sie an. »Na klar.«
    Iona kickte ihre Turnschuhe von den Füßen und versenkte ihre Finger und Zehen in den klitzekleinen Ritzen der Rinde. In null Komma nichts hatte sie sich auf die Astgabel über uns gezogen.
    »Und, kommst du?«
    Ich versuchte den Stamm zu umgreifen, ich versuchte meine Füße in die schmalen Furchen der Rinde zu drücken, aber jedes Mal rutschte ich ab. Als ich nach oben schaute, war Iona schon längst im Geäst verschwunden.
    »Iona!«, rief ich. Vor meinen Füßen landete das Ende eines mit dicken Knoten versehenen Seils. Ich zog mich daran hoch und kletterte bis zu einer natürlichen Plattform aus Ästen, die rund um den Stamm in alle Richtungen abstanden. Eine Art versteckte Festung. Vom Boden aus konnte man sie
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