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Der Ruf des Kulanjango

Der Ruf des Kulanjango

Titel: Der Ruf des Kulanjango
Autoren: Gill Lewis
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dir.«
    Ich saß hinter Mum und Dad auf der Rückbank und wir waren auf dem Weg zur Kirche.
    »Muss ich wirklich in die Kirche gehen?«, fragte ich. »Graham muss nicht.«
    »Er ist achtzehn«, erklärte Mum. »Er kann selbst entscheiden.«
    »Rob geht nicht. Und Euan auch nicht.«
    Mum drehte sich um und schaute mich an. »Um Himmels willen, Callum, hörst du jetzt mal mit dem Gejammer auf. Es ist nur eine Stunde und die wird dich schon nicht umbringen.«
    Im Rückspiegel konnte ich sehen, wie sich in Dads Augenwinkeln Fältchen bildeten. Er lachte mich aus. Ich ließ mich zusammensacken und drückte meine Knie gegen seine Rückenlehne.
    »Hast du heute irgendwelche Pläne?«, fragte Dad.
    »Fußball spielen«, entgegnete ich, »Fußball spielen mitRob und Euan und ein paar anderen aus der Schule.« Das stimmte. Wir hatten gesagt, dass wir uns am Sonntagnachmittag treffen und auf dem Bolzplatz herumkicken wollten. Aber ich dachte immer noch an Iona und wie sie einen Fischadler bei der Rückkehr beobachtete. Ich wollte wieder hoch zum See gehen. Rob und Euan würde ich erzählen, dass mich Dad auf dem Hof brauchte.
    »Sei bitte zum Abendessen zurück«, bat Mum.
    Iona stand schon auf dem Steinhaufen, als ich den Gipfel des Hügels erreichte. Ich ließ mich mit einem Plumps ins Heidekraut fallen, um wieder zu Atem zu kommen. Kein Wölkchen war zu sehen. Der See lag unter uns, wie ein Spiegel, der den blauen, blauen Himmel reflektierte. Ich fokussierte mein Fernglas auf den Adlerhorst in der Kiefer. Der Fischadler steckte immer mehr Äste zusammen.
    »Hier«, sagte ich, »willst du mal durchgucken?«
    Iona setzte den Feldstecher an die Augen und ich zeigte ihr, wie man die Schärfe einstellt. »Wahnsinn«, sagte sie. »Er ist so nah. Und schau mal auf seinen Schnabel. Der sieht brutal aus, dieser Schnabel. Schau mal, wie scharf der ist!«
    Ich überließ Iona das Fernglas und blickte nach Süden. Kreuz und quer über den Himmel zogen sich die Kondensstreifen der Flugzeuge und in weiter Ferne flog ein Schwarm Gänse in V-Formation vorüber, ansonsten aber war nichts zu sehen. Ich lehnte mich zurück ins weiche Heidekraut, außerReichweite des kalten Windes. Die Sonne wärmte mein Gesicht und ich spürte, wie mir die Augenlider zufielen.
    Als ich erwachte, fröstelte ich. Iona saß immer noch auf dem Steinhaufen und blickte zum Himmel. Über die Schlucht unterhalb von uns krochen Schatten. Ich schaute auf meine Uhr.
    »Wir sind jetzt schon zwei Stunden hier«, sagte ich zu Iona. »Da kommt kein Fischadler mehr.«
    Sie schaute mich streng an. »Sie wird schon bald hier sein.«
    Ich zog einen blühenden Zweig Heidekraut zwischen Daumen und Zeigefinger und beobachtete, wie sich die kleinen Blüten im Wind verstreuten. Dann schnipste ich ihr den nackten Stiel entgegen. »Ich wusste, dass ich lieber Fußball hätte spielen sollen.«
    Iona drehte mir den Rücken zu. »Du hättest ja nicht kommen müssen.«
    »Ich hab ein gutes Spiel versäumt«, sagte ich.
    »Sie wird von da drüben kommen«, fuhr Iona fort. Sie deutete über die glitzernde Oberfläche des Sees hinweg auf die heidekrautbewachsenen Hügel und den violetten Klecks von Bergen dahinter.
    »Woher willst du das wissen ?«, fragte ich.
    Sie stand auf und streckte ihre Arme weit von sich, wie ausgebreitete Flügel. »Ich weiß es einfach. Ich kann es spüren. Du musst dir nur vorstellen, dass du ein Vogel bist, und dann fühlst du es.«
    »Ich werd jetzt nicht mit meinen Armen flattern und über die Hügel springen, falls es das ist, was du meinst.«
    Iona zuckte mit den Schultern. Der Wind ließ ihr zerzaustes Haar tanzen.
    »Du kannst herumflattern, wie du willst«, brummte ich. »Ich geh jetzt.« Ich schüttelte die Heidekrautfitzelchen von meinem Pullover, machte mich auf den Weg hangabwärts und kickte dabei mit dem Fuß gegen die Grashügelchen. Ich drehte mich nach ihr um, aber sie stand einfach da, mit ausgebreiteten Armen und geschlossenen Augen. Der Wind plusterte ihre Jacke und ihre Hose auf. Das sah aus, als würde sie sich zum wolkenlosen blauen Himmel emporschwingen.
    »Und du glaubst echt, dass sie kommt?«, rief ich.
    »Ich weiß es eben. Du solltest das wirklich auch mal versuchen, Callum.«
    Ich blickte sie mürrisch an.
    »Hier oben kann dich doch niemand sehen«, sagte sie und hob die Arme noch höher.
    »Na gut«, sagte ich. Ich streckte die Arme aus und drehte mein Gesicht in den Wind. Ich wollte Iona glauben. Ich wollte unbedingt sehen, wie ein
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