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Der Ruf des Kulanjango

Der Ruf des Kulanjango

Titel: Der Ruf des Kulanjango
Autoren: Gill Lewis
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davongetragen.
    Vielleicht hatte ich sie verpasst. Vielleicht war sie bereits auf dem Weg zurück ins Dorf. Ich konnte jedenfalls nicht die ganze Nacht hier draußen bleiben.
    Ich wendete, um mich auf den Nachhauseweg zu machen, aber die Reifen schmierten an einem Felsen ab. Als ich hinuntersah, entdeckte ich im Schlamm neben dem Stein den Abdruck eines nackten Fußes. Die Vertiefungen, die Ferse und Zehen hinterlassen hatten, standen bereits voller Wasser.
    Iona war hier entlanggelaufen.
    Ich sprang vom Rad und folgte den Fußspuren. Unweit der Stelle verschwanden sie. Wahrscheinlich hatte Iona den Pfad verlassen und war in den Wald gegangen. Moos und Kiefernnadeln bedeckten den Boden.
    »Iona!«, rief ich. »Ich hab deine Jacke!«
    Ich drang tiefer in den Wald. Unter dem Dach der Baumwipfel war es dunkel, fast zu dunkel, um noch etwas zu sehen. Ich wusste, dass Mum und Dad sich inzwischen Gedanken machen würden, wo ich war.
    »Iona!«, rief ich noch einmal. Aber die Antwort blieb aus.
    Ich wollte zu meinem Rad zurückkehren, drehte mich um und machte einen Satz. Direkt vor mir stand Iona. Sie trug einen übergroßen Pullover, Jogginghosen und einen Wollhut, der ihr bis über die Ohren reichte. Aber ihre Füße waren immer noch nackt und sie zitterte vor Kälte.
    »Ich hab deine Jacke und deine Schuhe«, sagte ich und drückte ihr die Sachen in die Hand. »Zieh das Zeug an und geh nach Hause. Es wird gleich dunkel.« Ich schaute mich um, konnte mir aber keinen Reim darauf machen, woher sie die trockenen Sachen hatte.
    Iona zog ihre Jacke über, setzte sich auf einen Felsen undsteckte die Füße in die Turnschuhe. Ihre Hände zitterten und ihre Finger waren blau. Vergeblich fummelte sie an den Schuhbändern herum.
    Ich kniete nieder und schnürte sie ihr fest.
    Als ich aufstand, blickte sie mich an. »Ihr könnt mich nicht dran hindern hierherzukommen.«
    »Du hast Rob gehört«, erwiderte ich. »Du bist nicht erwünscht. Wir wissen jetzt, dass du hier bist. Und wir werden dich finden.«
    »Ich musste zurückkommen«, sagte sie. Die Worte rutschten ihr heraus, leiser als ein Flüstern.
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Ich hab nichts gestohlen«, sagte sie zähneklappernd. »Ich habe keine Angel.«
    Ich griff in meine Jackentasche. »Hier, nimm den Fisch und geh«, sagte ich und warf ihn auf den Boden. Er rutschte in den Dreck und blieb vor ihren Füßen liegen.
    Iona schaute mich an und zeichnete mit den Fingern Muster in die Kiefernnadeldecke. Kreise, Kreise, immer wieder Kreise. »Wenn du mir erlaubst zurückzukommen, verrat ich dir das Geheimnis«, sagte sie.
    Ich starrte sie an.
    Sie stand auf und sah mir in die Augen. »Es ist hier, auf eurem Land.«
    »Ich kenn alles hier auf unserem Land«, sagte ich.
    Iona schüttelte den Kopf. »Tust du nicht. Du hast keinen blassen Schimmer. Niemand weiß etwas davon.«
    »Was macht dich so sicher?«, fragte ich.
    Sie blickte mich zornig an. »Ich weiß es einfach.«
    Wie konnte sie etwas über mein Land wissen, was ich nicht wusste? Vielleicht wusste ihr Großvater etwas. Mr McNair war so alt wie die Berge. Er hatte das Land neben unserem bewirtschaftet, bevor er ins Dorf gezogen war. Aber das lag Jahre zurück, war sogar noch vor meiner Geburt.
    »Was ist es denn?«, sagte ich.
    »Wenn ich’s dir sage«, flüsterte sie, »darfst du niemandem etwas davon erzählen, deinen Freunden nicht, niemandem.«
    Wir standen einfach da und starrten uns im Halbdunkel an. In den Kiefernzweigen über uns rauschte der Wind. Von den Bäumen tröpfelte Regenwasser und platschte auf den Boden.
    »In Ordnung«, sagte ich.
    »Und du lässt mich wieder auf euer Land?« Iona spuckte in ihre Hand und streckte sie mir hin.
    Ich zog den Handschuh aus, spuckte in meine und schüttelte ihre Hand. »Abgemacht.«
    Sie wischte sich das verfilzte Haar aus dem Gesicht. »Dann bis morgen früh«, sagte sie. »Triff mich hier, am See.«
    Sie hob den Fisch auf und tauchte in das Dunkel des Waldes ein. Dann war sie verschwunden.

Kapitel 3
    Es war bereits dunkel, als ich über die Weiden hinunter zum Hof radelte. Der Regen hatte nachgelassen, aber ich war patschnass und kam nur schwer vorwärts. Die Reifen wälzten sich mühsam durch den Matsch. In der Küche brannte Licht und ich konnte sehen, wie Mum telefonierte. Ich schob das Rad am Schafstall vorbei und öffnete mit einem Tritt das Gartentor.
    Die Tür des Schafstalls flog auf. Dads Silhouette zeichnete sich in der Türöffnung ab.
    »Callum, bist du
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