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Der Ruf der Kiwis

Der Ruf der Kiwis

Titel: Der Ruf der Kiwis
Autoren: Sarah Lark
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letzten versprengten Schafe dann auch nicht in die »Festung«, sondern zur alten Sammelstelle.
    »Wir verlegen das Lager auch wieder«, bestimmte Gloria. »Gleich morgen früh. Bis dahin sollten die Schafe rund um den See noch nicht alles abgefressen und die Grasnarbe zerstört haben. Wenn die 
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 dann im Sommer kommen, um mit den Geistern zu reden, wird alles sein wie immer.«
    Gloria ließ offen, ob sie das 
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 wirklich achtete oder ob sie nur Rongo nicht verärgern wollte. Sie wunderte sich ein bisschen, dass niemand ihr widersprach, aber die Magie des versteckten Zufluchtsortes in den Bergen hatte wohl auch die Seele des letzten 
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 gerührt.
     
    Am Abend schlüpfte sie ganz selbstverständlich in Jacks Zelt und kroch in seinen Schlafsack. Sie legte sich neben ihn, ohne ihn dabei anzusehen. Er fühlte, dass ihr Körper dabei erstarrte, aber er sprach es nicht an, so wie auch sie kein Wort über den Kuss am Morgen verlor. Sie wechselten ein paar nichtssagende, gezwungene Bemerkungen über den Ritt und die Suche nach Schafen – Gloria und die Männer hatten noch fast tausend Tiere eingetrieben. Jack küsste Gloria sanft auf die Stirn.
    »Ich bin so stolz auf dich«, sagte er liebevoll. »Schlaf gut, meine Gloria.« Er wünschte sich mehr als alles andere, sie in den Arm zu nehmen und ihre Starre zu brechen, aber das wäre ein Fehler gewesen. Jack wollte keine Fehler mehr begehen. Nicht bei der Frau, die er liebte.
    Letztendlich zwang er sich, Gloria den Rücken zuzuwenden. Er schlief ein, während er vergeblich wartete, dass sie sich endlich entspannte. Doch als er erwachte, spürte er ihre Wärme. Sie hatte sich an ihn geschmiegt, ihre Brust an seinen Rücken, ihren Kopf an seine Schulter gelehnt. Ihr Arm lag über ihm, als wollte sie sich an ihm festhalten. Jack wartete, bis sie ebenfalls erwachte. Dann küsste er sie wieder.
     
    An diesem Morgen schickte Gloria die Hälfte der Männer mit dem allergrößten Teil der Schafherde ins Tal. Jack war noch nicht kräftig genug, um sehr nützlich zu sein; immerhin hielt er mit Tuesday die verbleibenden Schafe zusammen, während Gloria, Wiremu und die zwei erfahrenen Maori-Viehhüter das Hochland noch einmal auf versprengte Tiere absuchten. Ausgerechnet Wiremu erzielte dabei am Nachmittag einen Überraschungserfolg. In einem versteckten Tal entdeckte er die letzten sechshundert Mutterschafe. Viele von ihnen hatten ihre Lämmer verloren, aber die wertvollen Zuchttiere hatten fast alle überlebt.
    Gloria war überglücklich, und als sie am Abend am Feuer saßen, schmiegte sie sich leicht an Jack. Im Zelt ließ sie zu, dass er sie erneut küsste, lag dann aber wieder starr auf dem Rücken und wartete. Jack wandte sich diesmal nicht ab, rührte sie aber auch nicht an. Er wusste nicht recht, was er tun sollte. Von dem steifen, angespannten Körper des Mädchens ging keine Angst aus, nur Ergebung in das scheinbar Unvermeidliche. Jack fand das beinahe unerträglich. Er hätte mit Furcht umgehen können, aber für Gloria war Hingabe eine Form der Verzweiflung.
    »Ich will nichts, was du nicht willst, Gloria ...«, sagte er.
    »Ich will ja«, flüsterte sie. Zu seinem Erschrecken klang es fast gleichmütig.
    Jack schüttelte den Kopf. Dann küsste er ihre Schläfe.
    »Gute Nacht, meine Gloria.«
    Diesmal dauerte es nicht ganz so lange, bis sie sich entspannte. Er fühlte ihre Wärme im Rücken, als er einschlief. Am kommenden Morgen würden sie nach Kiward Station reiten. Wahrscheinlich würde es dann nicht weitergehen. Aber Jack konnte warten.
     
    Auf Kiward Station erschien am folgenden Tag erst einmal Maaka. Der junge Vorarbeiter hatte beschlossen, dass die weiteren Vermählungsfeierlichkeiten warten konnten. Statt seine wunderschöne junge Frau förmlich im 
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 seines Stammes willkommen zu heißen, quartierte er sie erst mal in einem der vielen Zimmer auf Kiward Station ein. Zum ersten Mal seit vielen Jahren wurden die Räumlichkeiten knapp.
    Tim Lambert war mehr als erleichtert über Maakas Ankunft, befürchtete er inzwischen doch ernsthaft, seine abenteuerlustige Gattin und seine noch draufgängerischere Tochter könnten im Alleingang eine Rettungsaktion für die Vermissten im Hochland planen.
    Sobald sich die Möglichkeit bot, nahm er Maaka beiseite.
    »Nun mal ganz ohne Sentimentalitäten«, sagte er. »Kann da oben noch jemand am Leben sein?«
    Maaka zuckte die Achseln. »Durchaus, Sir. Es gibt viele Höhlen, Talkessel, vereinzelt sogar
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