Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der rostende Ruhm

Der rostende Ruhm

Titel: Der rostende Ruhm
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
Geschirr, Kristall, Bestecke, Wäsche, Tischtücher, Bücher, Plastiken, Gemälde, einige wertvolle Alt-Wiener Lampen, zwei Gobelins. Alles andere blieb in Wien. In Toronto wollte Bergh sich neu einrichten. Ein neuerbautes, flaches Haus erwartete ihn. Eine gläserne Schachtel mit einem Blick auf den herrlichen Ontario-See.
    Der Weggang Berghs vollzog sich in aller Stille.
    Er besuchte noch einmal die Klinik. Mit Oberarzt Dr. Werth und Dr. Thoma ging er noch einmal alle Zimmer ab – alle Stationen, die Labors, die OPs, die Schwesternzimmer, die Sekretariate.
    Auf dem Gang der Station P I stand unter Führung der weinenden Schwester Angela die ganze Schwesternschaft, Blumen in den Händen. Oberschwester Cäcilia stand außerhalb der Reihe. Sie verbiß standhaft ihren Schmerz. Ihr bei allen Operationen unbewegtes Gesicht aber zuckte, als habe sie einen Nervenkrampf.
    »Kinder«, sagte Professor Bergh gerührt, »warum macht ihr es mir so schwer? Ich bin ja nicht aus der Welt. Ich komme doch jedes Jahr einmal ins alte Europa zurück. Und dann sehe ich bei euch vorbei. Das verspreche ich euch.«
    Er sagte es und wußte, daß es doch nicht wahr sein würde. Er würde nie mehr zurückkommen, das allein wußte er. Mit dem Schiff, das in drei Tagen von Genua abfuhr, verließ er für immer den Kontinent. Und es gab keine Brücke.
    Während die Schwestern ihre Blumen hinunter in Berghs Wagen trugen, ging er weiter durch die Klinik. Noch einmal – das letztemal in Europa – betrachtete er ein Röntgenbild. Dr. Werth gab es ihm, mit zitternder Hand, wortlos und mit weiten Augen. Und Bergh verstand ihn. Er nahm die Fotoplatte und hielt sie gegen die trübe Wintersonne, die vor dem Krankenzimmerfenster stand.
    Es war die Myelographie eines Rückenmarktumors. Ein klares Bild, bei dem es kein Zögern gab.
    Bergh gab das Röntgenbild an Dr. Werth zurück.
    »Laminektomie in endotrachealer Intubationsnarkose. Dann Eröffnung der Dura und Ausschälung der extramedullär sitzenden Geschwulst.« Bergh sah Dr. Werth schnell an. »Aber schonlichstes Operieren …«
    »Ich wollte es übermorgen machen, Herr Professor.«
    Übermorgen – da war er schon in Genua, und das weiße Schiff, das ihn an die amerikanische Küste bringen würde, lag schon im Hafen und wurde beladen.
    »Ich werde an Sie denken.« Bergh verließ schnell das Zimmer. Auf dem Flur atmete er ein paarmal tief durch. Er hatte einen Druck in der Brust, der einfach nicht weichen wollte. Oberarzt Dr. Werth und Dr. Thoma kamen ihm nach.
    Dr. Thoma hatte den Kopf gesenkt. »Herr Professor«, sagte er leise, »wenn man in Toronto einen kleingläubigen Assistenten braucht …«
    »Aber Kinder!« Bergh würgte es nun doch im Hals. »Ich kann doch nicht alle Wiener nach Kanada schaffen …«
    Als er die Klinik verließ, blickte er sich nicht um. Er wollte nicht zurückblicken – er wollte nur nach vorwärts sehen. Er wußte, daß Oberarzt Dr. Werth, Dr. Thoma, die Schwestern und die jungen Ärzte und alle gehfähigen Patienten an den Fenstern standen und zusahen, wie er in seinen Wagen stieg, der wie ein Hochzeitswagen mit Blumen überladen war.
    Oder wie ein Leichenwagen …
    Schnell fuhr Bergh aus dem Hof und bog in die Straße ein. Dabei sah er doch im Rückspiegel zurück zur Klinik. Aus allen Fenstern winkten sie – auf der Treppe standen sie und schwenkten Tücher – Bergh beugte sich über sein Steuerrad. O Gott, dachte er, daß es so schwer ist, einer Vergangenheit zu entfliehen …
    Sie waren ganz allein, als das Schiff von Genua ablegte. Kein Bekannter stand am Kai, niemand, den sie kannten, winkte ihnen zu – sie standen an der Reling und sahen hinüber auf den Hafen und die weißen Hotels und Villen Genuas.
    Bergh, Gabriele, Erna und die Boxerhündin Afra – sie war noch etwas beleidigt wegen der vielen Spritzen, die man ihr geben mußte, um sie nach Kanada nehmen zu dürfen – lehnten an dem weißlackierten Geländer und beobachteten, wie die Gangway eingezogen wurde, wie die letzten Rufe vom Kai zum Schiff und zurück wechselten und wie der Kapellmeister der Bordkapelle den Taktstock zum Abschiedslied hob.
    Abschied – Erna drückte ihr Taschentuch an die Augen. Sie würde in Amerika sterben, das wußte sie. Und sie würde auf dem Friedhof von Toronto liegen, obwohl sie in Wien schon seit zehn Jahren eine Grabstelle gekauft hatte und sogar einen Grabstein, auf dem bereits der Name und das Geburtsdatum stand. Nur das letzte Datum fehlte …
    Afra bellte die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher