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Der Richter

Der Richter

Titel: Der Richter
Autoren: John Grisham
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gehasst, dann wäre er noch lange sitzen geblieben, um seine Ehe Revue passieren zu lasen.
    Es hatte keinerlei Warnschüsse gegeben, keine Auseinandersetzun-gen, keine atmosphärischen Veränderungen. Sie war einfach über eine bessere Partie gestolpert.
    Um tief durchzuatmen, öffnete er die Tür. Jetzt bemerkte er, dass sein Kragen völlig durchgeschwitzt war. Nachdem er sich die Stirn abgewischt hatte, stieg er aus.
    Zum ersten Mal überhaupt bereute er es, zum Flugplatz gefahren zu sein.

3
    Die juristische Fakultät lag direkt neben der für Wirtschaftswissenschaften.
    Beide Institute befanden sich am nördlichen Rand des Campus, der seit den Zeiten von Thomas Jefferson sehr gewachsen war und nicht mehr viel zu tun hatte mit dem malerischen akademischen Viertel, das dieser einst ent-worfen und gebaut hatte.
    Für eine Universität, an der die Architektur des Gründers so verehrt wurde, war es überraschend, dass die juristische Fakultät in einem recht-eckigen und eher niedrigen Bau aus Glas und Betonquadern beheimatet und genauso langweilig und fantasielos wie Millionen andere Gebäude aus den Siebzigerjahren war. Aber in jüngster Zeit waren die Institute renoviert und der Umgebung angepasst worden. Die Universität selbst rangierte in den Top Ten der amerikanischen Ums, was allen, die hier lehrten oder arbeiteten, sehr wohl bewusst war. Zwar hatten einige Ivy-League-Universitäten beim Ranking besser abgeschnitten, aber keine einzige der aus Steuergel-dern finanzierten Hochschulen. Die Universität hatte tausend überdurch-schnittliche Studenten und äußerst qualifiziertes Lehrpersonal.
    Früher hatte Ray Wertpapierrecht an der Northeastern-Universität in Boston gelehrt. Einige seiner Publikationen hatten die Aufmerksamkeit einer Berufungskommission erregt. Eins kam zum anderen, und schließlich erschien die Alternative attraktiv, weiter südlich an einer besseren Universität zu unterrichten. Vicki stammte aus Florida, und wenngleich sie im groß-
    städtischen Leben Bostons aufgeblüht war, hatte sie sich nie mit den dorti-gen Wintern anfreunden können. Schnell gewöhnten sie sich an den lang-sameren Lebensrhythmus in Charlottesville. Ray bekam eine Professur auf Lebenszeit, Vicki promovierte in Romanistik. Als sie gerade über Kinder zu reden begannen, erschien der Unternehmensabwickler auf der Bildflä-
    che.
    Ein anderer Mann schwängert einem die Frau und nimmt sie mit. Natürlich würde man ihm da gern ein paar Fragen stellen, vielleicht auch der Frau … In den Tagen direkt nach Vickis Abgang ließen Ray diese Fragen nicht schlafen, aber im Laufe der Zeit begriff er, dass er sie nie zur Rede stellen würde. Die Fragen hatten sich längst verflüchtigt, doch die Episode auf dem Flugplatz brachte sie zurück.
    Während er das Auto auf seinem Parkplatz vor der juristischen Fakultät abstellte und dann zu seinem Büro ging, unterzog er Vicki in Gedanken erneut einem Kreuzverhör.
    Da er in der Regel bis zum Spätnachmittag in seinem Büro blieb, waren Terminabsprachen überflüssig. Seine Tür stand allen offen, jeder Student war willkommen. Aber nun war es Ende April, und die Tage waren bereits warm. Schon jetzt waren die Besuche der Studenten seltener geworden.
    Ray las die Vorladung seines Vaters erneut und ärgerte sich wieder über dessen obligatorische Strenge und Distanziertheit.
    Nachdem Ray sein Büro um siebzehn Uhr abgeschlossen hatte, verließ er die Fakultät, um zu einem auf dem Campus liegenden Sportplatz zu gehen, wo Studenten aus dem sechsten Semester das zweite von insgesamt drei Softball-Matches gegen ein Team des Lehrkörpers bestritten. Beim ersten Spiel waren die Professoren förmlich geschlachtet worden, und die zwei anderen Partien waren eigentlich überflüssig, um das bessere Team zu bestimmen.
    Studenten aus niedrigeren Semestern, die Blut gerochen hatten, füllten die kleinen Tribünen oder klebten am Zaun hinter dem ersten Mal, wo sich das Team des Lehrkörpers versammelt hatte und sich vor dem Spiel eine nutzlose, anfeuernde Lektion erteilen ließ. Einige jüngere Semester zwei-felhaften Rufs standen um zwei größere Kühlbehälter herum, das Bier floss bereits in Strömen.
    im Frühling gibt’s einfach kein besseres Plätzchen als den Campus einer Universität, dachte Ray, während er auf das Spielfeld zuging, um sich eine geeignete Stelle auszusuchen, von wo aus er das Match verfolgen konnte.
    junge Frauen in Shorts, immer ein Kühlbehälter in Reichweite, gute Laune,
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