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Der Richter und sein Henker - Der Verdacht

Der Richter und sein Henker - Der Verdacht

Titel: Der Richter und sein Henker - Der Verdacht
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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Begrenzung aller Menschen. So sollen wir die Welt nicht zu retten suchen, sondern zu bestehen, das einzige wahrhafte Abenteuer, das uns in die ser späten Zeit noch bleibt.« Und sorgfältig, wie ein Vater ein Kind, legte der Riese den Alten in sein Bett zurück.
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    »Komm, mein Äffchen«, rief er und pfiff. Mit einem einzigen gewaltigen Sprung, winselnd und lallend, schnellte der Zwerg hervor und auf des Ju -
    den linke Schulter.
    »So ist's recht, mein Mörderchen«, lobte ihn der Riese. »Wir zwei bleiben zusammen. Sind wir doch beide aus der menschlichen Gesellschaft gestoßen, du von Natur und ich, weil ich zu den Toten gehöre. Leb wohl, Kommissar, es geht auf eine nächtliche Reise in die große russische Ebene, es gilt, einen neuerlichen düsteren Abstieg in die Katakomben dieser Welt zu wagen, in die
    verlorenen Höhlen jener, die von den Mächtigen verfolgt werden.«
    Noch einmal winkte der Jude dem Alten zu, dann griff er mit beiden Händen hinein ins Gitter, bog die Eisenstäbe auseinander und schwang sich zum Fenster hinaus.
    »Leb wohl, Kommissar«, lachte er noch einmal mit seiner seltsam singenden Stimme, und nur seine Schultern und der mächtige nackte Schädel waren zu sehen, und an seiner linken Wange das greisenhafte Antlitz des Zwerges, während der fast gerundete Mond auf der ändern Seite des gewaltigen Kopfs erschien, so daß es war, als trüge jetzt der Jude die ganze Welt auf den Schultern, die Erde und die Menschheit. »Leb wohl, mein Ritter ohne Furcht und Tadel, mein Bärlach«, sagte er,
    »Gulliver zieht weiter zu den Riesen und zu den 332
    Zwergen, in andere Länder, in andere Welten, im-merfort, immerzu. Leb wohl, Kommissar, leb wohl«, und mit dem letzten »Leb wohl« war er verschwunden.
    Der Alte schloß die Augen. Der Friede, der über ihn kam, tat ihm wohl; um so mehr, da er nun wußte, daß in der leise sich öffnenden Türe Hungertobel stand, ihn nach Bern zurückzubringen.
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