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Der Regler

Der Regler

Titel: Der Regler
Autoren: Max Landorff
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hatte ihn schon ablehnen wollen, er hatte keine Lust, sich zu langweilen. Aber dann hatte seine Auftraggeberin, Melanie Schwarz, einen Satz gesagt, der ihn zum Schmunzeln gebracht hatte. Diesem Satz verdankte er nun die Tatsache, dass er in wenigen Minuten in den Genuss des »großen Currys« kommen würde, der Spezialität des Restaurants im
New Oriental
. Er hatte vorbestellt, damit keine Zeit durch das Studium der Karte und die Auswahl der Speisen verlorenging. Das Gericht, so hatte man ihm erklärt, bestand aus zahlreichen Schälchen feinster Gemüse-, Fleisch- und Fischspeisen und unterschiedlichster Soßen, alle sehr scharf und geeignet, Schweißperlen auf die Stirn zu treiben.
    Melanie Schwarz fühlte sich in einem Leben gefangen, aus dem sie entkommen wollte, aber nicht konnte. Ein Geflecht aus Schuldgefühlen, Verantwortung und Mutlosigkeit hielt sie zurück, dazu die Angst, in einem neuen, eigenen Leben zu versagen. Als junge Frau war sie ein Schlagersternchen gewesen, hatte es mit zwei Liedern in die Hitparaden geschafft:
Du bist jetzt allein
und
Die Wahrheit tut weh.
Aber ihre Karriere war kurz gewesen, es war bald still geworden um sie. Einmal war sie noch in den Schlagzeilen aufgetaucht mit einem angeblichen Selbstmordversuch, schließlich war sie völlig aus der Öffentlichkeit verschwunden. Dann lernte sie Peter Schwarz kennen, der eine sichere Burg um sie herum errichtete aus einer Familie und einem hohen Lebensstandard. Inzwischen hatten die beiden eine erwachsene Tochter, die in London eine Tanzausbildung machte. Sie bewohnten eine herrliche Dachgeschosswohnung in Berlin am Gendarmenmarkt und ein kleines restauriertes Gut außerhalb Potsdams mit einem Pferdestall. Melanie war schon als Kind gern geritten. Peter Schwarz hatte ihr einen Traum verwirklicht. Aber inzwischen hatte sie einen neuen Traum. Am Ende ihres Gespräches hatte sie auf das Stück Papier gestarrt, auf dem Tretjak den Plan skizziert hatte, und dabei gesagt: »Ich habe kein eigenes Geld. Ich kann Sie nicht bezahlen.« Tretjak, der schon drauf und dran gewesen war, den Auftrag abzulehnen, war hellhörig geworden. Er hatte sie angesehen und dabei beobachtet, wie sie all ihren Mut zusammennahm, um diesen einen Satz zu sagen: »Am Ende müssen Sie meinen Mann auch noch dazu kriegen, Ihre Arbeit zu bezahlen.«
     
    Am schärfsten waren die Linsen gewesen. Selbst Tretjak, der von klein auf gewohnt war, scharf zu essen, hatte bei diesem Gericht Tränen in die Augen bekommen. Schwarz hatte es nach einem Test mit einer winzigen Menge auf der Gabelspitze nicht mehr angerührt.
    Der Kellner mit dem Nashorngesicht war jetzt dabei, die vielen Schälchen abzuräumen. Zurück auf dem Tisch blieb eine gläserne Karaffe Mineralwasser, eine fast volle Flasche Haute Medoc und ein paar Gläser.
    »Wünschen die Herren noch ein Dessert?«
    Tretjak blickte Schwarz fragend an.
    Schwarz schüttelte den Kopf. »Kaffee. Espresso. Doppelt.«
    Tretjak nickte dem Kellner zu und bedeutete ihm, dass er sich diesem Wunsch anschloss. Dann griff er nach der Aktentasche, die neben seinem Stuhl auf dem Fußboden abgestellt war, nahm sie auf den Schoß, öffnete sie und entnahm ihr ein einziges weißes Blatt Papier und einen dunkelblauen Kugelschreiber der Marke Parker, legte beides vor sich auf den Tisch und stellte die Tasche wieder auf den Boden.
    »Sie möchte also ein neues Leben anfangen«, sagte Schwarz, mehr zu sich selbst als zu Tretjak. »Das kann sie mir aber nicht selbst sagen … Dafür braucht sie einen wie Sie. Wie ist sie auf Sie gekommen?« Er blickte Tretjak in die Augen. »Schlafen Sie mit ihr?«
    Tretjak machte sich nicht die Mühe zu antworten und schwieg. Er ließ Schwarz Zeit. Manche Menschen verstummten, wenn sie eine schlechte Nachricht erhielten. Andere mussten die Dinge aussprechen und immer wieder wiederholen, um sie zu begreifen. Zu diesen gehörte Schwarz. Er war getroffen, das war ihm anzusehen. Seine Hände zitterten, als er sich Wasser einschenkte. Der Bulle wankte.
    »Die Flügel noch mal ausbreiten, so, so … War das Melanies Formulierung, oder haben Sie sich die ausgedacht? Eine friedliche Scheidung … eine kleine Wohnung … nur eine kleine Summe Geld für den Start … Was für einen Start? Und darüber soll ich jetzt mit Ihnen reden? Was wollen Sie denn eigentlich in diesem Spiel?«
    Der Kaffee kam, und die beiden Männer ließen ihn schweigend kalt werden in den Tassen, die sich gegenüberstanden. Bis auf einen Tisch im
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