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Der Rat der Zehn

Titel: Der Rat der Zehn
Autoren: Jon Land
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als Selinas und sehr hager, das Gesicht eingefallen und eckig. Er hatte eigentlich keine besonderen Merkmale, abgesehen von einem übergroßen Streifen Fleisch am Kinn. Selinas traf viele Leute, alle namenlos. Also gab er zum Spaß jedem einen Namen, der auf einem außergewöhnlichen, physischen Merkmal beruhte – in diesem Falle war es ›Giblet‹, wegen des exzessiven Kinnfleisches, das so merkwürdig wie der getrocknete Kropf eines Truthahnes aussah.
    Selinas stieg vom Barhocker und hob eine Lederaktentasche vom Boden. Sein Kontaktmann führte ihn in eine Nische in der Ecke.
    »Sie müssen etwas bestellen«, sagte Selinas, nachdem sie sich gesetzt hatten. »Die werden sauer hier, wenn man nichts trinkt.« Er nippte an seinem Soda.
    Fast augenblicklich kam eine Kellnerin, bereit mit Block und Stift.
    »Scotch auf Eis«, sagte Giblet, und Selinas unterdrückte ein Lächeln. Die Kellnerin ging.
    Selinas schob die Aktentasche auf Giblets Seite unter den Tisch.
    »Haben Sie sie geöffnet?« wollte er wissen.
    »Sie könnte eine Bombenfalle sein. Das herauszufinden überlasse ich Ihnen. Seien Sie also vorsichtig, sie ist heiß.«
    »Irgendwelche Probleme?«
    »Lantos war besser als mir gesagt wurde.«
    »Er war alt.«
    »Alter bedeutet wenig in diesem Beruf.«
    »Und die Frau?«
    »Ihre Information war präzise«, sagte Selinas. Es war nicht nötig hinzuzufügen, daß er sie wahrscheinlich am Leben gelassen hätte, wenn sie es nicht mit diesem hübschen, kleinen Ring versucht hätte, der dann zum Werkzeug ihres eigenen Todes wurde.
    Die Kellnerin kam mit Giblets Scotch, und die beiden Männer schwiegen, bis sie außer Hörweite war.
    »Ich habe noch etwas für Sie«, sagte Giblet schließlich. »Diesmal Mehrzahl, zwei, um genau zu sein. Die Riverobrüder, Miguel und Marco.« Er zog einen Umschlag im Standardbüroformat aus seiner Jackentasche. »Details und doppelter Vorschuß.«
    Selinas hob die Augenbrauen. »Drogenhändler …«
    »Sie haben von ihnen gehört?«
    »Sie wollten mich früher mal anheuern.«
    »Und Sie haben natürlich abgelehnt, weil sie nicht Ihrem hohen Wertestandard als mögliche Arbeitgeber entsprachen. Ich nehme also an, daß sie akzeptieren.«
    »Ich finde, die Riveros sind nette Angriffsziele«, sagte Selinas.
    »Es wird nicht leicht sein. Sie sind gut abgedeckt, und es ist fast unmöglich, sie zu finden. Die Barone von South Beach werden sie von einigen genannt.«
    »Abschaum«, sagte Selinas. »Flußratten, die ich mit Vergnügen ertränken werde.«
    »Sie müssen es bis zum Ende der Woche geschafft haben. Benutzen Sie die übliche Nummer, um die Details durchzugeben.«
    »Trinken Sie ihren Scotch aus«, sagte Selinas.
    Der Regen begann nach Mitternacht und peitschte gegen die Fenster des Breakers mit einer Kraft, die diese einzudrücken drohte. Es donnerte regelmäßig, begleitet von gelegentlichen Blitzen. Doris hatte alle vier Schlösser an ihrer Tür verriegelt und fühlte sich einigermaßen sicher. Auf diesem Weg würde man nicht zu ihr gelangen. Das elegante alte Hotel war wie eine Festung gebaut.
    Sie war immer noch groggy von der Extradosis Demerol, die ihr Morris im Krankenhaus gegeben hatte. Sie wußte, sie würde in den Schlaf fallen, wie sehr sie auch dagegen ankämpfte. Kornbloom hatte sie vor zwei Stunden hier abgesetzt und versichert, daß er morgen früh um neun Uhr zurück sein und daß alles in Ordnung sein würde. Doris war sich da nicht so sicher.
    Sie schaltete ihren Fernseher ein, wählte den Kabelnachrichtenkanal und ließ das Programm auch dann noch laufen, als sie bereits im Bett lag und die Decke anstarrte. Der Inhalt interessierte sie nicht, aber ein möglicher Eindringling würde das Geräusch vielleicht als Zeichen dafür nehmen, daß sie noch wach war. Auf jeden Fall half ihr die Eintönigkeit der Stimmen, sich weniger einsam zu fühlen.
    Sie war aber allein. Sophie und Fannie waren tot. Jetzt auch Sylvie. Alles ihre Schuld.
    Seit sie wieder in ihrem Zimmer war, hatte sie Dutzende Male die Telefonnummer gewählt.
    Keine Antwort.
    Keine Hoffnung.
    Es würde als zufällige Tragödie abgetan werden. Alte Leute in den Siebzigern. Das kommt nun mal vor. Aber es war keine zufällige Tragödie. Das Geschäft hatte sie zusammengehalten. Und nun tötete es sie. Eine nach der anderen.
    Und es gab nichts, was sie tun konnte.
    Nein, hör auf damit! Du mußt kämpfen, wenn nicht für dich selbst, dann für Andy.
    Doris Kaplan hatte nie zu denen gehört, die aufgaben. Die
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