Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Raben Speise

Der Raben Speise

Titel: Der Raben Speise
Autoren: F.G. Klimmek
Vom Netzwerk:
mich am liebsten in den eiskalten Dorfweiher gestürzt hätte. Doch weil ich wusste, dass ich mein Glück bis an die Grenzen des Erträglichen ausgereizt hatte, verkniff ich mir sogar die provozierende Geste, mich mit dem Mundtuch abzuwischen, und lächelte tapfer zu meinem großen Gönner hinüber, der meine subtile Demütigung mit Genuss registrierte.
    Und wieder stach mir der Geruch verbrannten Fleisches in die Nase und gemahnte mich daran, niemals und wirklich niemals mehr den Bogen zu überspannen.
    Ich griff mir die schmierige Hand meiner Nachbarin und küsste galant ihre Fingerspitzen, während ich den Landesvater demonstrativ fixierte. »Nie hat es einen Mann mit größerer Weisheit gegeben – und nie mit besserem Geschmack.« Konnte ich mir bei Franzens Eitelkeit sicher sein, mir mit diesem Spruch das ewige Leben erkauft zu haben?
    Der Gestank wurde jetzt so stark, dass ich mir meinen Becher unter die Nase hielt und tief einatmete. Ich hatte Pluspunkte gewonnen, zweifellos. Dennoch wünschte ich mir, ich hätte die Zeit um einiges zurückstellen und mich vorübergehend in die sicheren Gefilde eines benachbarten Fürsten flüchten können. Vielleicht wäre es sogar am besten, auf Dauer in die Dienste eines fremden Herren zu treten. Doch was nützten mir hier und jetzt solche Überlegungen, die durch die grässlichen Schreie des Gefolterten unterbrochen wurden? Um mich abzulenken, ließ ich in Gedanken die Ereignisse der letzten Tage passieren, die zu diesem Todesschauspiel geführt hatten.

Engel und Teufel
    Ich stand nackt in der Schlange der armen Seelen, meine Hände und Füße waren so mit Ketten gefesselt, dass ich mich nur zentimeterweise vorwärts bewegen konnte und mir jeder Schritt große Schmerzen bereitete. Aber der Teufel wollte mich nicht lange leiden lassen, jedenfalls nicht auf diese billige Weise. Als er mich in der Reihe bemerkte, verließ er den Platz an seinem Schreibpult und kam an den Sündern vorbei schnurstracks auf mich zu. Dabei wanderte sein Blick beständig zwischen einer Schriftrolle in seinen Händen und mir hin und her.
    »Du fragst mich doch hoffentlich nicht, warum du hier bist?« Mit diesen Worten hielt er mir die Rolle vors Gesicht, sein Schmunzeln verstärkte sich. Er sah jetzt aus wie ein professioneller Geldverleiher, ein Jude, den ich in meinem anderen Leben einmal gekannt und der mich wegen meiner zugegebenermaßen nicht unbedeutenden Schulden bis nach Antwerpen hatte verfolgen lassen. Nur ein lukrativer und postwendend vergüteter Auftrag des Fürstbischofs hatte damals in letzter Minute dafür gesorgt, dass mir alle meine Glieder erhalten geblieben waren. Dass es heute wieder so glimpflich ausgehen würde, war reinste Utopie. Schließlich landet man nicht ohne Grund in der Hölle.
    Und Gründe für mein Hiersein hatte ich wahrlich genug geliefert. Selbst wenn ich den einen oder anderen vergessen haben sollte, auf der Schriftrolle unter meiner Nase standen sie alle rot auf weiß und lückenlos.
    »Tja, mein lieber Frederik, du hast mir einen Haufen Arbeit gemacht mit der Buchführung. Deshalb sollen deine Qualen auch ganz exquisite Formen ...«
    Das Wesen, das dem Teufel auf die Schulter tippte, hatte ich zigmal in den unterschiedlichsten Darstellungen gesehen, mir in natura aber nie so durchscheinend und dabei doch so graniten vorgestellt. Die Flügel machten auch einem religiösen Laien klar, dass wir es hier mit einem Engel zu tun hatten.
    Der Engel zeigte auf mich. »Er ist erlöst.«
    Beim Teufel stellte sich erster Unmut ein. »Er ist verdammt.«
    »Er ist erlöst!«
    »Er ist verdammt!!«
    Mit diesem beschränkten Vokabular plärrten die beiden noch eine Weile wie zwei trotzige Kinder aufeinander ein, bis es dem Engel zu bunt wurde, er mich unter den Armen packte und sich mühelos mit mir in die Luft erhob, auf eine riesige Glocke zu. Kein Grund mich zu früh zu freuen, denn der Teufel hing an meinen Beinen und versuchte mich zurückzuzerren. So sausten wir drei in das Innere der Glocke, einer zog mich nach links, der andere nach rechts, und jedes Mal knallte mein Schädel mit Wucht gegen die Glockenwand. »Das ewig Weibliche zieht uns hinan«, war das Einzige, was mir in dieser Situation in den Sinn kam – ein Spruch, der durchaus Chancen hatte, aus dem Munde eines Dichterfürsten Jahrhunderte später Eingang in jede Zitatensammlung zu finden.
    Immer, wenn mein Kopf als menschlicher Klöppel vor die Glocke haute, gab ihr bronzener Körper ein trockenes
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher