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Der Rabbi schoss am Donnerstag

Der Rabbi schoss am Donnerstag

Titel: Der Rabbi schoss am Donnerstag
Autoren: Harry Kemelman
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der angesehensten Rabbinate im Bezirk New York. Er besitzt eine wunderschöne Baritonstimme, und wenn er nur das Alphabet aufsagt, kommen den meisten Leuten schon die Tränen. Wir nannten ihn immer ‹die Stimme›.»
    «Reuben Levy?», erkundigte sich Miriam. «Der mit den Gleichnissen?»
    Der Rabbi lachte vergnügt. «Genau der.» An Lanigan gewandt, erklärte er: «Einmal haben wir, ein paar Seminaristen mit ihren Frauen, uns über das Predigen unterhalten, weil wir damals zum Sabbat in kleinere Gemeinden geschickt wurden. Levy erklärte, bei der Ausarbeitung einer Predigt suche er nicht etwa nach Beispielen und Gleichnissen, um etwas zu verdeutlichen, sondern mache es umgekehrt. Wenn er eine gute Story höre, merke er sie sich und baue dann eine Predigt drum herum.»
    «Ach so! Wie der Bursche, der als Scharfschütze galt, weil er zuerst schoss und dann eine Zielscheibe um das Einschussloch malte?» fragte Lanigan.
    «Genau!», antwortete der Rabbi.
    Als Miriam in die Küche ging, um den Kaffee zu holen, fuhr der Rabbi fort: «Meine eigenen Predigten sind auch immer eher wissenschaftliche Vorträge. Wissen Sie, dreimal die Woche lesen wir Teile aus dem Pentateuch, also verbinde ich meine Predigten mit den jeweiligen Zitaten.»
    «Dann leiden Sie ja nie Mangel an Themen», meinte Lanigan. «Also dürfte es Ihnen nicht schwer fallen.»
    «Gewiss, aber nach so vielen Jahren befürchte ich, dass ich mich möglicherweise wiederhole.»
    «Ach was!», sagte Lanigan, der von Miriam seine Kaffeetasse entgegennahm. «Ist Ihnen je der Gedanke gekommen, dass ihre Gemeinde Ihnen gar nicht zuhört?»
    Der Rabbi lächelte säuerlich. «Vielen Dank.»
    «Nein, aber im Ernst: Wie lange sind Sie jetzt hier – zehn Jahre?»
    «Zwölf.»
    «Wenn Sie also jetzt einige von Ihren alten Predigten wiederholten, von denen, die Sie ganz am Anfang gehalten haben – wer würde das schon bemerken?»
    «Ich», sagte der Rabbi.
    «Aber hören Sie mal, Sie sagen, Ihre Predigten ähneln den Vorlesungen von Professoren. Also, die halten jahraus, jahrein dieselben Vorlesungen, nicht wahr? Ich meine, es kommt immer wieder ein neuer Jahrgang, und mit denen muss er doch jedes Mal dasselbe durchkauen. Also, ich wette, dass in den zwölf Jahren, die Sie jetzt hier sind, ein ziemlich großer Teil Ihrer ursprünglichen Gemeinde ausgeschieden ist – gestorben, weggezogen, nach Florida gegangen, um sich zur Ruhe zu setzen. Dafür sind viele neue Leute hergekommen. Wenn das, was Sie Ihrer damaligen Gemeinde gesagt haben, für die Leute wichtig war, dann wäre es doch sicher genauso wichtig für die neuen, nicht wahr?»
    Der Rabbi nickte. «Das stimmt. Es geschieht ganz allmählich, sodass man es kaum bemerkt, aber es stimmt. Von den ursprünglichen Mitgliedern sind nicht mehr viele übrig.»
    «Und sehr viel mehr neue Leute sind hierhergezogen», ergänzte Lanigan.
    «Wir haben jetzt fast dreihundert Familien», sagte Miriam.
    «Dreihundert?» Lanigan war erstaunt. «Ich dachte, es wären weit mehr hier in der Stadt.»
    «O ja, in der Stadt schon», bestätigte der Rabbi. «Ungefähr noch weitere zweihundert, aber die sind keine Gemeindemitglieder.» Er lächelte. «Wenn es nach Henry Maltzman, unserem Vorsitzenden, ginge, dann würden alle der Gemeinde beitreten. Er ist sehr dafür, die Mitgliederzahl zu erhöhen.» Er lachte. «Ewig redet er davon, man müsste nur den richtigen Trick anwenden.»
    «Ja, aber warum sind sie keine Mitglieder? Wenn von unserer Kirche jemand hier zuzieht, wird er sofort vom Pfarrer oder von einem seiner Kaplane aufgesucht. Und wenn er nicht in die Kirche kommt, versuchen sie’s weiter. Ich möchte wetten, dass es hier in der Stadt kaum ein Dutzend Katholiken gibt, die nicht so oder so mit der Kirche in Verbindung stehen.»
    «Ihre Religion ist kirchenorientiert», wandte der Rabbi ein. «Sie dreht sich um Messen, Kommunion und Beichte, und dazu gehört ein Priester in der Kirche. Unsere Religion wird hauptsächlich zu Hause ausgeübt. Der Sabbat wird zu Hause gefeiert. Das Passah-Fest findet zu Hause statt. Außerdem ist auch die Finanzstruktur anders. Die unsere stützt sich auf die Mitgliedschaft, und die jährlichen Beiträge belaufen sich auf mehrere hundert Dollar pro Jahr. Das ist viel für ein junges Ehepaar, und das sind die meisten neu Zugezogenen. Die nur gekommen sind, weil sie Jobs in den Forschungslabors und den vollautomatisierten Fabriken an der Route 128 ergattert haben.»
    «Und viele davon reduzieren
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