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Der Prophet

Titel: Der Prophet
Autoren: Khalil Gibran
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leer.
    Menschen gibt es, die voller Freude geben, und diese Freude ist ihr Lohn.
    Und es gibt Menschen, die unter Schmerzen geben, und dieser Schmerz ist ihre Läuterung.
    Und Menschen gibt’s, die geben und nichts vom Schmerz des Gebens wissen noch nach Freude streben noch um der Tugend willen
     geben;
    Sie geben so, wie die Myrte im Tal dort drüben atmend ihren Duft verbreitet.
    Durch solcher Menschen Hand spricht Gott, und aus ihren Augen lächelt Er nieder auf die Welt.
     
    Gut ist es, wenn gefragt, zu geben, besser aber, ungefragt zu geben, aus eigener Einsicht;
    Und für den Freigebigen ist die Suche nach einem, der empfangen soll, eine größere Freude als das Geben.
    Und gibt es etwas, das ihr für euch behalten könntet?
    Was ihr auch habt, wird eines Tages hingegeben werden;
    Gebt also jetzt, damit die Zeit des Gebens eure sei und nicht die eurer Erben.
     
    Oft sagt ihr: »Ich möchte wohl geben, aber nur dem, der es verdient.«
    |23| Reden die Bäume in eurem Garten etwa so oder die Herden auf eurer Weide? Sie geben, um zu leben, denn geizen heißt sterben.
    Wer es wert ist, seine Tage und seine Nächte zu empfangen, ist doch wohl alles anderen würdig, was ihr ihm geben könntet.
    Und wer’s verdient hat, vom Lebensmeer zu trinken, verdient es auch, aus eurem schmalen Bach zu schöpfen.
    Und welch größeren Verdienst könnte es wohl geben als den, der in dem Mut und dem Vertrauen, ja der Barmherzigkeit des Empfangens
     liegt?
    Und wer bist du, dass Menschen ihr Gewand zerreißen und ihren Stolz entblößen sollten, damit du ihren Wert nackt und ihren
     Stolz unverhüllt sehen kannst?
    Sorg erst dafür, dass du’s verdienst, ein Gebender zu sein und ein Werkzeug des Gebens.
    Denn in Wahrheit ist es nur das Leben, das dem Leben gibt – während du, der du dich für einen Gebenden hältst, ein bloßer
     Zeuge bist.
     
    Und ihr Empfangenden – und Empfangende seid ihr alle – befrachtet euch nicht selbst mit Dankbarkeit, damit ihr nicht euch
     selbst und dem, der gibt, ein Joch aufbürdet.
    Schwingt euch vielmehr auf, gemeinsam mit dem Gebenden, auf den Flügeln seiner Gaben.
    |24| Denn ein zu deutliches Bewusstsein eurer Schuld ist ein Zweifeln an seiner Großzügigkeit, deren Mutter die freigebige Erde
     ist und deren Vater Gott selbst.

|25|
Vom Essen und Trinken
    Dann sagte ein alter Mann, der Wirt einer Schänke: Sprich zu uns vom Essen und Trinken.
    Und er sagte: Könntet ihr nur vom Duft der Erde leben und wie eine Luftpflanze vom Licht der Sonne!
    Doch da ihr, um zu essen, töten müsst, und das Neugeborene der Milch seiner Mutter berauben, um euren Durst zu stillen, macht
     daraus einen Gottesdienst.
    Und euer Tisch sei ein Altar, auf dem das Reine und Unschuldige von Wald und Weide dem geopfert werden, was im Menschen noch
     reiner und noch unschuldiger ist.
     
    Wenn ihr ein Tier schlachtet, sagt zu ihm in eurem Herzen:
    »Durch dieselbe Macht, die dich tötet, werde auch ich getötet; und auch ich werde einst verzehrt werden.
    Denn das Gesetz, das dich in meine Hand gab, wird einmal mich in eine mächtigere Hand geben.
    Dein Blut und mein Blut sind nichts als der Saft, der den Baum des Himmels ernährt.«
     
    |26| Und wenn ihr einen Apfel zwischen euren Zähnen zermalmt, sagt zu ihm in eurem Herzen:
    »Deine Samen werden in meinem Körper weiterleben
    Und die Knospen deines Morgens in meinem Herzen erblühen,
    Und dein Duft wird mein Atem sein,
    Und gemeinsam werden wir uns an allen Jahreszeiten erfreuen.«
     
    Und im Herbst, wenn ihr in euren Weinbergen die Trauben für die Kelter lest, sagt in eurem Herzen:
    »Auch ich bin ein Weinberg, und meine Früchte werden für die Kelter gelesen werden,
    Und wie neuen Wein wird man mich in ewigen Gefäßen aufbewahren.«
    Und im Winter, wenn ihr den Wein einschenkt, lasst für jeden Becher ein Lied in eurem Herzen erklingen;
    Und in dem Lied klinge die Erinnerung an die Herbsttage und an den Weinberg und an die Kelter nach.

|27|
Von der Arbeit
    Dann sagte ein Pflüger: Sprich zu uns von der Arbeit.
    Und er antwortete und sagte:
    Ihr arbeitet, um mit der Erde und der Seele der Erde Schritt halten zu können.
    Denn Müßigsein bedeutet, sich den Jahreszeiten zu entfremden und die Prozession des Lebens zu verlassen, das majestätisch
     und in stolzem Gehorsam auf die Unendlichkeit zuschreitet.
     
    Wenn ihr arbeitet, seid ihr eine Flöte, durch deren Herz sich das Flüstern der Stunden in Musik verwandelt.
    Wer von euch wäre gern ein
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