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Der Prophet

Titel: Der Prophet
Autoren: Khalil Gibran
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Tauschen der Gaben der Erde sollt ihr Überfluss finden und gesättigt werden.
    Doch wenn das Tauschen nicht in Liebe und gütiger Gerechtigkeit geschieht, wird es lediglich bei einigen zu Habgier und bei
     anderen zu Hunger führen.
     
    Wenn ihr Arbeiter der See und des Feldes und des Weinbergs zum Markt geht und den Webern und Töpfern und Sammlern von Gewürzen
     begegnet,
    Ruft dann den höchsten Geist der Erde an, dass er unter euch komme und die Waagschalen heilige und die Rechnung, die Wert
     gegen Wert abwägt.
     
    Und lasst nicht zu, dass die, deren Hände unfruchtbar sind und die ihre Worte gegen euren Schweiß eintauschen möchten, an
     euren Geschäften teilhaben.
    Solchen Menschen solltet ihr sagen:
    |39| »Kommt mit uns aufs Feld oder fahrt mit unseren Brüdern hinaus auf See und werft eure Netze aus;
    Denn das Land und die See werden euch ebenso reich beschenken wie uns.«
     
    Und kommen die Sänger und Tänzer und Flötenbläser zum Markt, kauft auch von deren Geschenken.
    Denn auch sie sind Sammler von Früchten und Weihrauch, und das, was sie bringen, ist – wenn auch aus Träumen gewirkt – Kleidung
     und Speise für die Seele.
     
    Und bevor ihr den Marktplatz verlasst, vergewissert euch, dass niemand mit leeren Händen ziehen musste.
    Denn der höchste Geist der Erde wird nicht eher ruhig auf den Flügeln des Windes schlafen, bis die Bedürfnisse des Geringsten
     unter euch befriedigt worden sind.

|40|
Von Verbrechen und Strafe
    Dann trat einer der Richter der Stadt vor und sagte: Sprich zu uns vom Verbrechen und von der Strafe.
    Und er antwortete und sagte:
    Nur dann, wenn euer Geist mit dem Wind zieht,
    Tut ihr, allein und unbewacht, anderen ein Unrecht und damit auch euch selbst.
    Und um dieser unrechten Tat willen müsst ihr eine Weile vor dem Tor der Seligen warten, bevor euer Klopfen erhört wird.
     
    Wie der Ozean ist euer göttliches Selbst;
    Nichts kann es je verunreinigen.
    Und wie der Äther trägt es nur den, der Flügel besitzt.
    Wie die Sonne ist euer göttliches Selbst;
    Es kennt nicht die Wege des Maulwurfs, noch sucht es die Löcher der Natter auf.
    Doch nicht nur euer göttliches Selbst wohnt in euch.
    Vieles in euch ist noch menschlich, und vieles ist noch nicht Mensch,
    Sondern ein ungeschlachter Zwerg, der im Schlaf |41| durch den Nebel irrt auf der Suche nach seinem Erwachen.
    Und vom Menschen in euch will ich jetzt sprechen.
    Denn er ist es, und nicht euer göttliches Selbst noch der Schlafwandler im Nebel, der vom Verbrechen weiß und von der Strafe
     für das Verbrechen.
     
    Oft habe ich euch von jemandem, der ein Unrecht begeht, so sprechen hören, als wäre er nicht einer von euch, sondern ein Fremder
     in eurer Welt und ein Eindringling.
    Ich aber sage euch: So wie der Heilige und der Gerechte nicht über das Höchste hinauswachsen können, das jeder von euch in
     sich birgt,
    Ebenso können der Böse und der Schwache nicht tiefer als das Niedrigste fallen, was ebenfalls in euch liegt.
    Und so wie kein einzelnes Blatt gelb wird ohne das stillschweigende Wissen des Baumes,
    So verübt der Verbrecher seine Tat nicht ohne euer aller heimliche Einwilligung.
    Wie in einer Prozession schreitet ihr alle auf euer göttliches Selbst zu.
    Ihr seid der Weg und die Wanderer.
    Und stürzt einer von euch, so stürzt er um der Folgenden willen, zur Warnung vor dem Stolperstein.
    Ja, er stürzt auch um der Vorausgehenden willen, |42| die, obgleich schneller und trittsicherer, das Hindernis nicht aus dem Weg räumten.
     
    Und noch dieses, auch wenn das Wort eure Seele bedrücken mag:
    Der Ermordete ist nicht frei von Verantwortung für seine Ermordung,
    Und nicht ohne Mitschuld wird der Beraubte beraubt.
    Der Gerechte ist an den Taten des Bösen nicht unschuldig,
    Und die sauberste Hand bleibt von den Taten des Schurken nicht unbefleckt.
    Ja, oftmals ist der Schuldige das Opfer des Geschädigten,
    Und noch häufiger trägt der Verurteilte die Bürde des Schuldlosen, Unbescholtenen.
    Ihr könnt den Gerechten nicht von dem Ungerechten trennen und den Guten nicht von dem Bösen;
    Denn sie stehen zusammen vor dem Angesicht der Sonne, so wie der schwarze und der weiße Faden miteinander verwoben sind.
    Und wenn der schwarze Faden reißt, dann soll der Weber den ganzen Stoff prüfen, und den Webstuhl soll er gleichfalls untersuchen.
     
    |43| Und wenn einer von euch die untreue Ehefrau richten will,
    Dann wäge er auch das Herz von deren Mann und messe seine Seele mit der
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