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Der Preis des Schweigens

Der Preis des Schweigens

Titel: Der Preis des Schweigens
Autoren: Beverley Jones
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zu trösten.
    Dan und ich waren schon so lange ein Paar, dass ich keine Ahnung hatte, wie ich reagieren würde, falls dieser Mann tatsächlich zu mir kam und ein Gespräch mit mir anfing. Bestimmt würde ich rot anlaufen und irgendetwas Unverständliches vor mich hin lallen. Wenn ich ehrlich bin, hatte ich dennoch längst verheißungsvolle Schwingungen in den dunklen Winkeln des Schmugglernests wahrgenommen, Schwingungen, die ihr Echo in meinem vollen Magen fanden, in meinen rosigen Wangen: eine Zufallsbegegnung, ein Richtungswechsel, eine Möglichkeit zur Rettung, zur Flucht, vielleicht sogar zur Rache. Jedenfalls zu etwas vollkommen Unvernünftigem, etwas Neuem.
    Eine stürmische Nacht in einem uralten Pub, in dem sich zwei Augenpaare treffen und in dem vielleicht eine Liebesgeschichte ihren Anfang nimmt …
    Noch bevor ich mich eingehender mit diesem Gedanken beschäftigen konnte, merkte ich, dass ich dringend auf die Toilette musste. Nachdem ich meine weingefüllte Blase entleert und noch ein wenig Lipgloss aufgetragen hatte, kehrte ich in die Bar zurück, zu allem bereit. Aber der Fremde war verschwunden. Mit Überraschung stellte ich fest, dass ich erleichtert war, aber gleichzeitig spürte ich einen kleinen Stich der Enttäuschung. Meine Wut und meine Unsicherheit wegen des Streits mit Dan hatten nicht verhindert, dass ich mit Interesse auf einen Fremden reagiert hatte, was ich noch gestern nicht für möglich gehalten hätte. Andererseits hatte ich gestern noch nichts von dieser Frau gewusst, und Dan war noch nicht der Mann gewesen, der er heute war.
    Die Treppe des Hotels kam mir noch steiler und gewundener vor, als ich mich mühsam nach oben in mein Zimmer schleppte. Der Boden unter mir schien zu schlingern, aber irgendwie schaffte ich es in mein Kingsize-Bett, wo ich eine Zeit lang an die Dachgiebel der Henry-Morgan-Suite starrte. Das einzige sichtbare Zugeständnis an ihren berüchtigten walisischen Namenspatron war ein gerahmtes Reklameplakat für Captain Morgan’s Rum aus den Vierzigerjahren, das mich auf eine Idee brachte. Ich stand auf und holte mir zwei Fläschchen Rum aus der diskret versteckten Minibar. Um meine Leber würde ich mir morgen Gedanken machen. Ich hatte heute an einem Tag mehr getrunken als sonst in einer, vielleicht sogar in zwei Wochen. Gar nicht schlecht, dachte ich.
    Von Schwindelgefühlen und Übelkeit überwältigt ließ ich mich zurück aufs Bett sinken und fing wieder an zu weinen und Dan und das Lügengerüst zu verfluchen, das er über Jahre hinweg aufgebaut hatte. Irgendwann schlief ich ein und träumte von einem Piraten mit Dreispitz auf dem Kopf, Flip-Flops an den Füßen und einer gebräunten Hand, mit der er sich die sonnengebleichten Locken aus den meergrünen Augen strich, bevor er sie mir durch den Nebel entgegenstreckte.
    Als ich aufwachte, sickerte schwaches Tageslicht ins Zimmer, und die trippelnden Vogelkrallen auf dem Dach und die donnernden Wellen lieferten sich einen Wettstreit in meinem dröhnenden Kopf. Dan hatte mehrere Mailbox-Nachrichten hinterlassen und eine SMS geschickt. Ich beantwortete sie nicht.
    Mein übliches dringendes Bedürfnis, mich nach einem Streit so schnell wie möglich mit Dan zu versöhnen und meine Welt wieder ins Gleichgewicht zu rücken, hatte sich auch mit dem neuen Tag nicht wieder eingestellt. Normalerweise sah eine Versöhnung bei uns so aus, dass ich den ersten Schritt machte und sagte: »Bitte lass uns wieder Freunde sein, Dan, ich ertrage es nicht, wenn wir streiten. Das ist es nicht wert.« Nie schaffte ich es, ihn »zappeln zu lassen«, wie es andere Frauen mit ihren Männern taten, weil meine Angst, dass Chaos über uns hereinbrechen würde, wenn wir nicht vernünftig miteinander redeten und uns wieder vertrugen, stärker war als mein Stolz.
    Aber an diesem Morgen war mein Kopf kühl und leer. Ich genoss dieses neue Gefühl, schaltete mein Handy aus und ließ es im Hotelzimmer zurück. Mir fiel ein, dass mein Verlobungsring immer noch zu Hause auf dem Wohnzimmertisch lag.
    Nach dem Frühstück kam die Sonne heraus, und ich spielte die elegante Kurzurlauberin und machte in meinem übergroßen kuschligen Cardigan einen Strandspaziergang, verspeiste ein Bio-Vanilleeis und sah mich in der winzigen Kunstgalerie eines alternden Hippies mit Dreadlocks um. Dann genehmigte ich mir eine Bruschetta und einen Cappuccino in einem kleinen Strandcafé und sah zu, wie die Wellen im grellweißen Mittagslicht ihre Gischt versprühten.
    Ich
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