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Der Preis des Schweigens

Der Preis des Schweigens

Titel: Der Preis des Schweigens
Autoren: Beverley Jones
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Entspannungstrip vor der Hochzeit gedacht gewesen, als kleine Flucht vor dem Arbeitsstress und dem riesigen Projekt, zu dem sich die Hochzeitsvorbereitungen allmählich auswuchsen. Ich hatte mich umso mehr darauf gefreut, als Dan eigentlich nicht der romantische Typ war, der mich spontan irgendwohin entführte oder mit Blumen überraschte. Er hielt solche Gesten für einfallslos, für einen reinen Konsumhype. Also verzichtete er grundsätzlich darauf, vermutlich um sich vom Rest der Masse »abzuheben«.
    Aber zwischen uns herrschte nun schon seit einiger Zeit angespannte Stimmung, und die Hochzeitsplanung machte alles nur noch schlimmer. Der Aufenthalt im Watch-House sollte Balsam für unsere strapazierten Nerven sein, Aromatherapie für erregte Gemüter, entspannende Massage für ewige Streitereien.
    Nachdem Dan mir eröffnet hatte, dass er mich für ein Wochenende entführen wollte, hatte ich mir im Internet immer wieder voller Vorfreude unsere Suite angesehen, die Henry-Morgan-Suite, die wie alle Zimmer der ehemaligen Hafenmeisterei den Namen eines Seefahrers oder Schiffes trug. Henry Morgan, der berüchtigte Pirat und Gouverneur von Jamaika, stammte nämlich – was viele nicht wissen – ursprünglich aus Wales. Im Hotel gab es außerdem noch eine Black- Bart-Suite (oder in einheimischer Mundart Barty Ddu -Suite), die nach dem walisischen Piraten Bartholomew Roberts benannt war, eine Captain-Flint-Suite (nach dem Kapitän aus Die Schatzinsel ) und eine Mary-Celeste-Suite, die ich mir nicht unbedingt ausgesucht hätte, weil sie ihren Namen dem berühmten Geisterschiff verdankte.
    Zum Glück waren die Suiten nicht mit verstaubten Stoffen und Motiven aus der Seefahrt überfrachtet, was diesem »pittoresken Juwel an der Küste Gowers«, wie das Hotel im Führer genannt wurde, bestimmt nicht gutgetan hätte. Stattdessen herrschte »maritimer Chic, wie er eleganter nicht vorstellbar ist«. Beim Lesen der Beschreibung hatte ich das Wochenende in diesem »versteckt gelegenen Kleinod« regelrecht herbeigesehnt und es kaum noch erwarten können, nach einem ausgiebigen Spaziergang am windumtosten Strand bis zur Nase in luxuriösem Badeschaum zu liegen, in der Hoffnung, dass Dan sein »einfallsloses« Verhalten beibehielt und mich drei Tage lang mit Champagner und zärtlichen Worten verwöhnte. Vielleicht gelang es ihm so, mir wieder ins Gedächtnis zu rufen – oder mich vielmehr überhaupt erst davon zu überzeugen –, dass diese Hochzeit die richtige Entscheidung und nicht nur der logische nächste Schritt in unserer langjährigen Beziehung war.
    Und nun stand ich an diesem strahlenden Oktobernachmittag allein in der Postkartenidylle, einsam und verlassen, mit Wut im Bauch und verquollenen Augen.
    Stoisch schleifte ich meinen Koffer zum Eingang, bevor ich es mir doch noch anders überlegte. Was um alles in der Welt tat ich hier? Wollte ich wirklich in eine Luxussuite einziehen, die mich schmerzhaft daran erinnern würde, dass sich mein Zukünftiger soeben als mieser, untreuer Lügner entpuppt hatte? Aber wo hätte ich sonst hingehen sollen? Ich wollte Dan weder sehen noch mit ihm sprechen, wollte nicht noch mehr unsinnige Erklärungen und Ausreden hören. Außerdem war die Suite bereits bezahlt – inklusive Frühstück, dreier Abendessen und einer kostenlosen Flasche Wein. Vielleicht fand ich hier Zeit zum Nachdenken – und zum Durchatmen. Also holte ich tief Luft und betrat die beleuchtete Eingangshalle.
    Die elegante Empfangsdame thronte auf einem hohen Stuhl und blätterte in der Vanity Fair. Sie trug ein schickes Ensemble aus schwarzem Rollkragenpullover und schwarzer Hose, und ihre verdächtig lackschwarzen Haare waren zu einem messerscharfen Bob geschnitten. Dazu hatte sie ein natürlich wirkendes Make-up aufgelegt, von dem ich wusste, dass es im Kosmetikladen ein Vermögen kostete. Sie klappte diskret die Zeitschrift zu, als ich näher kam, lächelte professionell und musterte dann teilnahmsvoll meine rotgeheulten Augen und meinen ramponierten Koffer. Ohne das offensichtliche Fehlen meiner Begleitung zu kommentieren, schob sie mir das Anmeldeformular zu, fragte mich, ob ich eine Morgenzeitung wünschte, und zeigte mir auf einem Plan die Notausgänge. Zum Glück war das Zimmer schon frei, sodass ich es sofort beziehen konnte.
    »Die Henry-Morgan-Suite ist unsere schönste Suite und bietet ein besonders romantisches und intimes Ambiente«, zitierte sie aus dem Werbeprospekt, bevor sie mir endlich den
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