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Der Preis des Schweigens

Der Preis des Schweigens

Titel: Der Preis des Schweigens
Autoren: Beverley Jones
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wie benommen, aber ich befand mich immer noch in meinem eigenen Wohnzimmer, und meine schwarzen Wildlederstiefel standen fest auf unserem violetten Teppich, es war also nicht zu befürchten, dass ich den Halt verlor. Aber dann fiel mein Blick auf Dans schuldbewusstes, entsetztes Gesicht, und mir war klar, was das bedeutete. Während die Zimmerwände vor mir zurückwichen und der Boden unter mir nachgab, während mein Verstand wild fuchtelnd um sein Gleichgewicht kämpfte, verstand ich, wer Sophie war. Und ich verstand, was das »uns« bedeutete.
    O Gott, wie furchtbar, wie vorhersehbar, wie klischeehaft.
    Ich brauchte fünf Sekunden, bis ich diese Information verarbeitet hatte, und eine weitere Sekunde, bis in meinem Gehirn ein Kurzschluss stattfand und das Zimmer in schwindelerregendem Tempo wieder seine normalen Ausmaße annahm. Meine Knie wurden weich, und ich geriet kurzzeitig ins Wanken.
    Dann beendete ich mit ruhiger Stimme das Gespräch und legte Dans Handy auf dem Tisch ab, bevor ich tief Luft holte und das Notizbuch nach ihm warf. Darauf ließ ich den Verlobungsring folgen, der ihn an der Wange traf. Und schließlich begann ich zu brüllen und hörte nicht mehr auf.
    Er war zutiefst erschrocken, verständlicherweise. Dass ich eine Erklärung von ihm verlangte, ihn mit Vorwürfen überschüttete, vielleicht sogar in Tränen ausbrach, muss er erwartet haben (»Wer ist diese Frau? Warum, Dan? Warum?«), aber nicht, dass meine unerschütterliche Rationalität und meine ruhige Gelassenheit wie weggeblasen waren und an ihre Stelle ein Urschrei trat, eine völlig entfesselte Wut.
    Er versuchte natürlich, vernünftig mit mir zu reden, mir ein wirres Ammenmärchen aufzutischen, sich Erklärungen für die Hotelrechnung und die Quittung über siebenundzwanzig Lilien auszudenken, die ich gefunden hatte. Er hob meinen Verlobungsring vom Boden auf und flehte mich an, ihm doch bitte zuzuhören, aber je mehr er redete und je mehr Lügen seinen Mund verließen und in einer kleinen Prozession durch die Luft schwebten, desto wütender wurde ich.
    Und dann explodierte ich, schoss aus dem Boden und reckte mich zum Himmel, durchbrach mit nuklearer Heftigkeit die Wolken. Kurz darauf ließ ich den Motor an und fuhr davon, während Dan ein paar Sekunden zu spät aus dem Badezimmer geschossen kam und wild gestikulierend und mit bestürztem Gesicht am Gartentor stand. Die Randbezirke von Cardiff, die M4, Port Talbot, Swansea – das alles rauschte an den Fenstern meines Ford Focus vorbei wie Studiobilder in einem alten Film, während ich fluchend und mit der Handfläche das Lenkrad malträtierend Richtung Westen fuhr.
    Ohne mir dessen bewusst zu sein, raste ich eine Stunde die Küste entlang, bis ich die Halbinsel Gower erreicht hatte, wo ich in eine kleine, halb überwucherte Landstraße einbog und schließlich die letzte Kurve meiner Fahrt nahm. Urplötzlich brach die Landmasse vor mir ab, und das Meer winkte mir mit salzigen Fingern entgegen, während die Nachmittagssonne den Himmel in gleißendes Licht tauchte.
    Vor mir lag mein Ziel, und sein Anblick war so schmerzlich schön, dass ich anhielt, das Autofenster herunterließ und die klare Meeresluft einatmete, um meinen vom Gebrüll wunden Hals zu kühlen.
    Das Hotel hieß Watch-House und thronte auf einem Klippenvorsprung, unter dem die Brandung an die gischtnassen Felsen schlug. Geheimnisvoll ragte das historische Gebäude aus dem Sprühnebel und erinnerte krumm und verwinkelt an den Schauplatz eines alten Seefahrerromans. Über dem Schornstein schwebte eine nach oben hin dünner werdende Rauchschwade, die nach Herbst und Gemütlichkeit roch. Ich war auf der Stelle verzaubert.
    Durch die windschiefen Fenster fiel sanftes Licht nach draußen, die antike Holztür zur Hotellobby stand offen und gab den Blick auf einen brennenden Kamin frei, der fast zu behaglich wirkte, um real zu sein. Unter dem Gesims des Schieferdachs nisteten Tauben und hießen mich mit ihrem Gurren willkommen. Dieser Ort war absolut vollkommen. Oder hätte es zumindest sein sollen. Dan hatte ihn anhand einer Hotelbeschreibung ausgesucht, die er im walisischen Hotelführer Cool Cymru entdeckt hatte. Das Watch-House war in der Reisebeilage der Times und in der Zeitschrift Elle lobend erwähnt worden und bot zehn Luxussuiten, Spa-Anwendungen auf den Zimmern und ein preisgekröntes Restaurant, in dem nur biologisch angebaute Lebensmittel aus der Region auf den Tisch kamen.
    Das Wochenende war als romantischer
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