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Der Preis der Freiheit: Geschichte Europas in unserer Zeit

Der Preis der Freiheit: Geschichte Europas in unserer Zeit

Titel: Der Preis der Freiheit: Geschichte Europas in unserer Zeit
Autoren: Andreas Wirsching
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positiv-utopisch. Daniel Bell etwa, der einflußreiche Prognostiker der «Wissensgesellschaft», zeichnete schon 1973 ein tendenziell harmonisches Bild: In der zunehmend computergestützten postindustriellen Gesellschaft würde eine neue Arbeitnehmerschaft den neuen Anforderungen durch einen höheren Bildungsgrad und intensivere Schulung gewachsen sein.[ 39 ] Und spätestens als mit der Einführung des Personal-Computers die individuelle, dezentralisierte Bildschirmarbeit möglich wurde, rückte das Thema Bildung und Fortbildung in den Mittelpunkt. Gruppiert um thematische Leitbegriffe wie «Wirtschaftswachstum und Beschäftigung», «Arbeitsorganisation», «Bildung» und «Künstliche Intelligenz» meldete sich eine eindrucksvolle Phalanx internationaler Experten zu Wort, die vor allem die Chancen der neuen Informationstechnologie hervorhoben. Zwar werde deren Fortschritt erheblichen Anpassungsdruck ausüben, ihre Einführung und Weiterentwicklung seien jedoch zwingend. «Weiterbildung wird zum Motor der wirtschaftlichen Entwicklung», so konnte man 1987 auch in einer Anzeigenkampagne der Deutschen Bundespost lesen. «Die Fähigkeit, moderne Informations- und Kommunikationstechniken kreativ zu nutzen, wird […] immer wichtiger.»[ 40 ]
    Hieraus ergaben sich konkrete bildungspolitische Forderungen. Sie sind seit Beginn der 1980er Jahre bis in die jüngste Vergangenheit hinein regelmäßig und in allen westlichen Staaten erhoben worden und ziehen sich wie ein roter Faden durch die Debatte um die Globalisierung. Unter dem Stichwort einer «neuen Bildungskrise» ging etwa der deutsche Informatiker und Politikberater Klaus Haefner schon 1984 davon aus, daß das traditionelle Bildungswesen definitiv seine Legitimation eingebüßt habe. In der Vergangenheit sei allein der Mensch in der Lage gewesen, informationsverarbeitende Probleme zu lösen. Der hierauf beruhende Bildungskonsens sei mit der Heraufkunft des Computers nicht mehr haltbar. Denn es gebe «neben der Verfügbarkeit von Qualifikationen aus dem Bildungswesen eine andere Möglichkeit, kognitive Leistungen für Produktion und Verwaltung zu nutzen: den Ankauf geeigneter Hard- und Software von der informationstechnischen Industrie!» In der «human computerisierten Gesellschaft» brauche das Bildungswesen daher eine neue Legitimation, die allein daraus entstehen könne, daß es «in sehr breitem Maße die Menschen für das Leben in einer informationstechnisch unterstützten Welt qualifiziert».[ 41 ] 1993 beklagte Alfons Rissberger, einer von «Deutschlands renommierten IT-Vordenkern und Experten für neue Strategien des Informations- und Wissensmanagements», wie er sich auf seiner eigenen Homepage bezeichnet: «Heute noch verlassen viele Absolventen unsere Hochschulen ohne ausreichende oder sinnvolle Erfahrungen mit Computersystemen.»[ 42 ] Und 1999 resümierte Manuel Castells, einer der profiliertesten Stichwortgeber der Informationsgesellschaft, in einem Bericht für die UNO: «Nicht jeder braucht ein Programmierer oder Finanzanalytiker zu sein; aber nur Leute, deren Bildung ausreicht, sich selbst während ihres ganzen Berufslebens immer wieder neu zu programmieren, werden die Früchte der neuen Produktivität ernten können. […] Bildung, Information, Wissenschaft und Technologie werden in der Informationsökonomie zu den entscheidenden Quellen der Wertschöpfung. Zwar ist das formelle Bildungsniveau überall auf der Welt angestiegen; aber entscheidend wird die Qualität der Bildung. Die meisten öffentlichen Schulen sind schlicht nicht dafür gerüstet, die neue informationelle Arbeitskraft zu produzieren. […] Mangel an Bildung und informationeller Infrastruktur führen daher in den meisten Ländern zur Abhängigkeit von der Leistung einiger weniger globalisierter Segmente ihrer Wirtschaft, die ihrerseits gegenüber dem Wirbelwind der globalen Finanzströme zunehmend verwundbar sind.»[ 43 ] Welche Rückwirkungen solche Veränderungen der Technik auf die Arbeitswelt ausübten, konstatierte Castells bereits 1997 im Auftrage der OECD: «Die Arbeit in den leistungsfähigen Unternehmen kann sich nicht mehr am alten industriellenModell orientieren, mit seinem hierarchischen Machtsystem, einer strikten Aufgabenverteilung und starken Bestandteilen nichtqualifizierter Arbeitnehmer. Das neue Arbeitsmodell verlangt von den Arbeitnehmern, daß sie flexibel sind, spezialisiert und polyvalent. Heute ist der Arbeitsplatz weniger stabil und sicher als in der
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