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Der potemkinsche Hund: Roman (German Edition)

Der potemkinsche Hund: Roman (German Edition)

Titel: Der potemkinsche Hund: Roman (German Edition)
Autoren: Cordula Simon
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selbst, und Čelobaka begann zu knurren, und hätte Tolik ihn nicht abgehalten, hätte der bullige Köter das halbe Portiönchen zerrissen. »Was ist los mit dir?«, doch Čelobaka setzte nur einen treu-fragenden Blick auf, als sie ein paar Schritte weiter waren, diesmal hatte ausnahmsweise Anatol entschieden wohin, und als er die Nackenfalte seines Hundes bereits freigegeben hatte, folgte nun dieser. Anatol hielt und Čelobaka neben ihm, denn da war eine alte Frau, sie nahm so viel des Gehsteigs ein, direkt vor ihnen, vielleicht weil sie so in der Mitte stand, vielleicht wirkte sie aber auch durch ihre Bewegungen entsetzlich breit, vielleicht war sie auch entsetzlich breit, aber Anatol glaubte darin, dass sie so viel Platz brauchte, zu erkennen, dass auch die alte Frau offenbar keinen Platz hatte, keinen Ort, an den sie gehen konnte, und als würde sie nur raten, sehr langsam, wo sich der Griff der blau karierten Tasche befand, schwebte ihre Hand darüber, kreiste kurz, während sie wankte, dann fischte sie danach, griff beim ersten Versuch ins Leere, beim zweiten hielt sie die blaue Sch nur mit der Hand umfasst, blickte auf und dabei Anatol gerade ins Gesicht, der sich schämte, sie beobachtet zu haben und zu Boden blickte. Als er wieder aufsah, war sie verschwunden. Er schüttelte den Kopf, als wollte er das Bild abschütteln. Doch er hatte eine Erklärung, wohin sie verschwunden sein konnte, denn unter der Stadt lag eine Stadt. Sie musste wohl in die Katakomben gegangen sein, hier irgendwo befinde sich wohl ein Zugang, es gab derer viele. Hier gingen Haustiere verloren, und wenn sich im Inneren der Tunnel und Räume etwas verschob, so zerbarsten Rohre der Stadt, die über der Stadt lag.
    Anatol schien es wie eine großartige Idee: Ein Gewitter war auf dem Weg, die verfluchten dicken schwarzen Wolken, mit ihren dicken Aschebrüsten, bogen und rieben sich schon über ihnen. Neben der Feuchtigkeit der steinernen Wände und dem schimmligen Geruch war es immerhin trocken unten. Das hatte die Frau ohne Platz richtig erkannt. Er konnte auch einfach hinuntersteigen, er musste nur den Zugang finden und vielleicht fand er ihn auch, vielleicht fand er den Zugang und folgte dem Vorbild der alten Baba, die so schnell verschwunden war, vielleicht war da aber auch gar keine Idee, vielleicht war da auch nie eine Frau gewesen, denn einen Moment später wusste Anatol Grigorjevič Ivanov gar nicht mehr, wo oben und unten war. Er kam nicht darauf, dass er auf dem Kopf stand, sein Nacken nach hinten gebeugt, bis er bemerkte, dass es der Hund war, der seinen Fall gebremst hatte, ihn abgefedert und gerettet hatte, und er war so überrascht gewesen, ins Leere zu steigen, noch tiefer, wie seltsam, dass jeder Schritt, den er machte, bedeutete, ins Leere zu steigen und ihm der Rücken wehtat, als hätte man ihn mit Eiszapfen gepeitscht. Vielleicht war Anatol einfach nur in ein Schlagloch gestürzt und der Hund hatte gekläfft und ihn gewarnt oder auch gar nicht hingesehen und blickte nun von oben, den Kopf schief gelegt, als wunderte er sich, jetzt wo Anatol doch endlich aufgehört hatte sich zu wundern, in ein tiefes schwarzes Asphaltloch, in dem Anatol nun gelandet war.
    Anatol raffte sich auf, nach ein paar Stunden hier würde ihm der Schimmelgeruch hoffentlich vorkommen wie Fliederduft, Siren, der Flieder, wie er zur Saison an Straßenrändern angeboten wurde. »Weißt du, Hund«, flüsterte er, »ich wünschte, ich könnte mich an das Märchen mit dem Hund und dem Tod erinnern. Kennst du die Geschichte vom Tod und dem einsamen Hund? Wie der Hund meinte, wie einsam müsse erst der Tod sein, schleicht er doch ständig so um ihn herum, und als es Nacht und kühl wurde, da kuschelte der Hund sich an die Brust des Todes, weil er ihn wärmen wollte. Seither hat der Tod einen Hund als Begleiter.« Er wandte sich um zum Hund, doch es war nicht der Hund, den er sah, sondern nur dessen Kopf, der so befremdlich in der Luft hing, ein Kopf, nur ein Kopf, wovon er wohl angetrieben wurde? Da war schließlich keine Elektrizität in den Katakomben. Und der Hund leckte sich übers Maul und Anatol beneidete ihn ein wenig, wie zu dem Zeitpunkt, als er den Hund beobachtet hatte, wie er sich seines Kots entledigte. Anatol hatte es immer noch nicht geschafft. Was war der Hund doch frei ohne seinen Körper, der weit weg sein musste, und wie er zwinkerte, als fühlte er sich wohl ohne diesen und vielleicht kackte der Körper frei vom Kopf nun irgendwo ohne
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