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Der potemkinsche Hund: Roman (German Edition)

Der potemkinsche Hund: Roman (German Edition)

Titel: Der potemkinsche Hund: Roman (German Edition)
Autoren: Cordula Simon
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Anatol wusste nicht mehr in welche Richtung, denn die wegweisenden Sirenen schwiegen.
    Nur als Hund war er gekommen, als Hund, auf dessen Gesicht das Wasser tropfte, auf eines der Gesichter zumindest, er hatte derer drei, und Anatol war auf ihn zugelaufen, hatte ihn gestreichelt. Und eines der dunklen Gesichter bellte fröhlich, eines winselte und das dritte biss, biss Anatol in den Arm, riss den Arm aus, der in Hundespeichel und Blut lag, ein zerrender Laut, vielleicht auch nicht Anatols Arm. Das Krachen, das der Fall verursacht hatte, hatte gehallt in den düsteren Gängen, war fortgewandert, weg, weiter, bis es einen Ausgang zum Meer finden und dort ertrinken würde. Ersoff im Wellenlärm, der um Anatols Kopf donnerte, hart gegen seinen Schädel schlagend, gegen die Schläfen, links und rechts und in den Nacken hackte, grob, als wollte es ihn mit flachem Wasser enthaupten. Aber er war verschluckt. Gefressen vom Alligatorenschlund unter der Stadt. Die Spinnen saßen auf seinen Augen und die Fledermäuse fraßen die Augen zusammen mit den Spinnen. Die Hundemäuler rissen ihn in Stücke. Die Mägen der Stadt sind es gewesen. Es konnte doch nicht Anatols Schuld sein, dass er nicht wusste, in welche Schlaglöcher und Münder er trat. Anatols Schritte wollten, forderten, mussten vorwärts, klopften auf Stein, wie die Wassertropfen in die Küchenspüle hämmerten, penetrierten, gegen das Metall klirrten, plärrten, sich gegen das Aufgefangenwerden wehrten, wie die Schritte gegen das Stehenbleiben. Die Tropfen nagelten sich in Anatols Kopf. Während die Katakomben selbst orpheussche Schalmeien grölen. Das Wasser hörte nicht auf zu tropfen, und da hielt er still, hörte auf, sich zu suchen, wartete, bis alles rundum klanglos würde. Vielleicht wäre er ja zwischen den Zäunen hindurchgeschlüpft, zwischen den Lücken von Ober- und Unterwelt, zwischen den beiden Städten, wenn er gewusst hätte, was ihm die Mutter immer erzählt hatte. »Was hat mir die Mutter nur erzählt, als ich klein war? Erinnerst du dich nicht, Čelobaka? Die Geschichte, dass ich in der Tür geboren wurde, an der Schwelle? So hilf mir doch, Hund.« Doch er konnte Čelobaka nirgendwo entdecken. Sein letzter klarer Gedanke war das Hundegesicht, das aus dem Fenster der tatsächlich freundlichen Nachbarin blickte, deren schwere metallene Wohnungstür er zu gern aufgeschlossen hätte, hätte er den Schlüssel bereits in der Tasche gehabt, aber vielleicht war Čelobaka ja ihr Hund und immer schon ihr Hund gewesen und wartete in seinem Zuhause auf sie, und der Hund hatte nur auf ihn achtgegeben, weil sie es so gewollt hatte. Im Dunkel blieb er stecken.

ANHANG
    I
Parallel des Weges fliegt der schwarze Sputnik.
Er tröstet, rettet, er bringt uns Ruhe.
    Janka Djagiljeva
    II
Nimm deinen Besen, fliegen wir zum Sabbat,
nimm die Apokalypse mit dir – unser Symbol:
Heute ist Walpurgisnacht.
    Sektor Gaza
    III
Ich bin die Tür, ich bin das Tier, ich bin Ohr, ich bin Auge,
ich bin Wächter zwischen Nacht und Tag,
ich bin in diesen, ich bin in jenen, ich bin in ihnen, ich bin in uns,
ich bin in dir und in ihm.
    DDT
    IV
Vom Morgen an regnet es, wird es, hat es und tut es.
Und meine Tasche ist leer, es ist sechs Uhr.
Keine Papirossa und kein Feuer,
und im vertrauten Fenster brennt kein Licht.
Ich habe Zeit, aber kein Geld,
und nirgendwohin als Gast zu gehen.
Und irgendwohin sind plötzlich alle verschwunden,
ich bin in einen falschen Kreis geraten,
ich möchte trinken, ich möchte essen,
ich möchte einfach irgendwo sitzen.
    Viktor Zoj
    V
Wenn wir Glück haben,
kehren wir bis zur Nacht nicht in den Käfig zurück.
    Janka Djagiljeva
    VI
Trauern – nicht brennen, trauern – nicht explodieren,
erschlagen, vergraben, trauern, vergessen.
    Janka Djagiljeva
    VII
Ich spaziere. Ich spaziere allein.
Was weiter tun – ich weiß es nicht.
Kein Zuhause. Niemand ist zu Hause.
    Viktor Zoj
    VIII
Sie hat über ihn so gesprochen, dass sogar die Stimme gekratzt hat.
Kein bekannter Künstler, natürlich, aber sehr ähnlich.
Jung, ledig, im Allgemeinen, von der Gestalt her – ein guter Mann.
Nur was ist denn damit, er ist doch ein Mann – wie kann er gut sein?
    Saša Bašlačov
    IX
Ist es leicht, hungrig zu hungern?
Ist es leicht, stumm zu schweigen?
Ist es leicht, sich tot zu verstecken?
Ist es leicht, lebendig zu suchen?
    Graždanskaja oborona
    X
Hier gibt es eigene Schurken und Helden,
und gewöhnliche Menschen – sie sind in der Mehrheit,
Ich liebe sie alle. Nein! Nun, sagen wir
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