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Der potemkinsche Hund: Roman (German Edition)

Der potemkinsche Hund: Roman (German Edition)

Titel: Der potemkinsche Hund: Roman (German Edition)
Autoren: Cordula Simon
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bis hinunter zu den Knien. Bis zu den Knien war es noch einfach gewesen, einen Schritt nach dem anderen zu machen. Als die Wellen schon gegen die Nieren schwappten, fror sie. Der zusammengesunkene Umhang schwebte ihr folgend über das Wasser, nur bis zur Brust ging sie, dann lehnte sie sich zurück, auf die Federdecke, zwischen die Wellen. Das Meer würde den Gestank aus ihrem Bett treiben und sie selbst weit hinaus, weiter als dorthin, wo die Schiffe vor Anker lagen. Sie glaubte, dass sie ein mosesartiges Äffchen in einem Korb gesehen hätte, folgte ihm mit den Augen. Eine von ihr nicht bestimmbare Zeit später fand sie sich wieder am Strand, es hatte sie ausgespuckt, angespült, das verräterische Wasser. Das Meer hatte sie abgestoßen, warum nur tat es das? Der Wasserkörper wollte ihr Herz nicht. Das Meer nimmt keine Versager. Sogar darin war sie gescheitert. Sie ging noch einmal. Sie fror nun richtig, sie zitterte, was sie unsicher machte, ob sie würde fühlen können, wenn ihr Herzschlag schwand. Sie würde es entgegen des bisherigen Ausgangs noch einmal versuchen, diesmal weiter gehen, bis zum Hals, und sich erst dann treiben lassen. Ein letztes Experiment, über die Akzeptanz des Meeresorganismus bei der Eingliederung menschlicher Organe. Schließlich hatte sie es in ihrem Leben weder in die Zeitung noch ins Meer geschafft.
    Am nächsten Morgen saß sie am Strand, konnte nicht zurück und war nach wie vor gescheitert. In den Sand gesetzt, nur den Regen, der lange auf sich hatte warten lassen zur Gesellschaft, sonst war da nichts mehr.

XXIV
    Он не помнит слово »да« и слово »нет«,
Он не помнит ни чинов, ни имен.
И способен дотянуться до звезд,
Не считая, что это сон,
И упасть, опаленным Звездой
По имени Солнце …
    Виктор Цой
    Anatol war gegangen, er war gegangen und hatte sich verabschiedet. Im Tageslicht war es vielleicht möglich, zurückzukehren in die alte Wohnung, in die Wohnung, die – hätte ihn jemand gefragt, aber schließlich fragte niemand – er immer noch als seine Wohnung bezeichnet hätte. Vielleicht war es möglich, den neuen Mieter zu fragen, ob von seinem Leben nicht doch noch etwas übrig war. Wenigstens etwas, wenigstens etwas Kleines, ein bisschen, ein Rest, wie das bisschen Käse, das noch an der Rinde klebte, das niemand hatte herauskratzen können und das er gerade nicht weggeworfen hätte. Anatol war gegangen, und obgleich er überzeugt war, den Weg zu seiner, ja seiner, Wohnung immer zu finden, hatte er den Hof verlassen, weil er nicht bemerkt hatte, dass er sich in seinem Hof befand, weil er nicht bemerkt hatte, dass die Frau der letzten Nacht, auch wenn ihm unklar war, was in dieser Nacht passiert war, die freundliche, vielleicht auch nur höfliche Nachbarin gewesen war. Er hatte den Hof verlassen und war die Straße entlanggegangen. Er hatte seine Adresse vergessen, das war ihm noch nie passiert, glaubte er immerhin, auch wenn er noch so viel getrunken hatte, den Weg nach Hause kannte er, seine eigene Adresse konnte er nennen. Ein Automatismus im Kopf, der verhinderte, dass man einzelne Details einer Handlung oder einer Sache nachvollziehen konnte, denn der Automatismus funktionierte nur als Ganzes. Er hätte seine Adresse auch niemals in einzelnen Teilen nennen können, es musste immer die Anschrift, wie die Post sie fordern würde in eben dieser Reihenfolge sein. Die Wohnungsnummer konnte er immer nur nach der Hausnummer nennen. Seine Adresse von hinten nach vorne aufzusagen, wäre ihm niemals möglich gewesen. Und vielleicht war auch nur der Automatismus verloren gegangen, zusammen mit dem Stadtplan im Kopf, dem verlogenen halb sowjetischen, halb modernen, denn er hatte gelernt, sich in Odessa zu orientieren, als die Menschen noch die alten Straßennamen benutzten, und viele Straßen waren so oder so nie beschriftet gewesen. Als er noch ein Kind gewesen war, und er wusste es gar nicht mehr – aber das hatte er ja schon lange nicht mehr gewusst –, hatte der Militärvater, wegen dem sie so oft umgezogen waren, ihn immer die aktuelle Adresse auswendig lernen und hersagen lassen, damit er sich in keiner neuen Stadt verliefe, nicht einmal in der chinesischen. Die Preobraženskaja in Odessa war für ihn immer die Straße der Roten Armee gewesen – preobraženije, die Verwandlung, die Staroportofrankovskaja immer die Komsomolskaja. Er
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