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Der potemkinsche Hund: Roman (German Edition)

Der potemkinsche Hund: Roman (German Edition)

Titel: Der potemkinsche Hund: Roman (German Edition)
Autoren: Cordula Simon
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wie so häufig, vertagt. Unten am Tank, an seine runde, kleine Öffnung mit dem Hebel zum Aufdrehen, hängte sie einen dicken Schlauch. Diesen hatte die Feuerwehr vor langer Zeit, als es in der Nachbarschaft brannte, im Hof vergessen und sie hatte ihn aufgelesen, denkend, irgendwann würde sie ihn brauchen können, und sie war erleichtert gewesen, als sie spätnachmittags versuchte, ihn an den Tank zu hängen und er tatsächlich einrastete. Sie kletterte zum Sarg hinunter, öffnete ihn, hielt ihre Taschenlampe nun im Mund, er war weniger blass, als sie gedacht hatte. Sie krempelte seinen Ärmel hoch, tadelte sich selbst, natürlich würde sie keinen Puls bei ihm finden, nur keine Fehler, spritzte sie ihre selbst gebraute Medizin nicht in seine Vene, wäre all dies umsonst gewesen. Vorsichtig, ermahnte sie sich. Alles musste gut gehen, schließlich war sie für Anatol sogar selbst beim Drogenhändler gewesen, und in der Wohnung hatten die Substanzen, die sie ihm nun verabreichte, die ihn aus dem Tod herausschrecken sollten, beim Zusammenkochen einen grauenhaften Gestank verbreitet. Zu spät hatte sie bemerkt, dass es keine gute Idee ist, das Fenster zu öffnen, wenn man Drogen verkocht. Die Milicija würde morgen bei ihr vor der Tür stehen. Das alles dürfe nicht umsonst sein.
    Irina würde ihn aufwecken und sie würde einen Artikel darüber verfassen und alles, was sie sich jemals gewünscht hatte, würde sich wunderbar ineinander fügen. Natürlich würde man ihr vorwerfen, dass sie nicht genügend Versuche durchgeführt habe, dass es ein Risiko gewesen sei, aber zum Teufel, sie würde Tolik wiederhaben und sie hätte einen Menschen erweckt. Im Labor würden alle respektvoll Abstand halten. Praktikanten würden Autogramme von ihr wollen, sie wäre eine Berühmtheit.
    Von außerhalb des Friedhofs war Musik zu hören, sie erkannte Akkordeonklänge. Würde die Musik ihn doch zurücklocken, was für eine romantische Vorstellung, Irina seufzte. Sie kletterte wieder nach oben und drehte dann den Hebel des Kvas-Tanks auf, ließ das Gemisch, das nun tatsächlich Ähnlichkeit hatte mit dem verheißenen Getränk, das der Tank zu enthalten vorgab, dunkel und braun, wie es das Scheinwerferlicht des Lasters reflektierte, ins Grab laufen. Viel davon sickerte in die Erde, doch langsam füllte sich die Grube. Nun warf sie die selbst zusammengeflickten Kabel, an denen sie tags zuvor so lange gearbeitet hatte, hinein, die mit dem Generator, den sie am Flohmarkt gekauft und etwas modifiziert hatte, verbunden waren. Es war an der Zeit, die Apparatur anzuwerfen. Ein Hund beobachtete sie, wie sie dort kniete, was hätte sie darum gegeben, es an einem solchen Streuner schon ausprobiert zu haben. Schau nicht so, dachte sie, es ist nicht ungewöhnlich, vor Gräbern zu knien. Sie glaubte, im Blick des Hundes Argwohn zu sehen. Sie griff nach einem Stein, der neben ihrem Fuß lag, und warf ihn nach dem Hund, doch statt mit eingekniffenem Schwanz davonzuschleichen, lief er nun freudig wedelnd auf sie zu. Sie indessen überlegte kurz, wie viel Volt sie denn benötigte, drehte mit dem kleinen Rädchen das Gerät voll auf, und das hohe Geräusch, das der Apparat machte, ließ den Hund abbremsen, zusammenzucken. Und noch während Irina an dem Rädchen drehte, überlegte sie, ob sie nicht lieber noch den Hund getötet und es mit ihm versucht hätte, um ganz sicher zu gehen, ob es funktionierte, doch es war zu spät, die Flüssigkeit begann zu blubbern, schlug Wellen, schäumte dunkel, wie das Meer, sie stoppte die Zeit, damit es nicht zu lange dauerte, dann drehte sie das Rad schnell zurück, die Oberfläche lag ruhig, spiegelte glatt, was von der Nacht zu sehen war.
    Der Hund kam abermals näher, diesmal unsicher, mit gebeugtem Kopf. Sie hielte Tolik in den Armen, wiegte ihn, würde ihn beruhigen, dass dieser Albtraum vom Totsein zu Ende sei, sie würde ihn in diese Welt zurückküssen, meinte sie, wachte er nur auf, doch nichts geschah. Im Grab regte sich nichts. Noch einmal drehte sie den Apparat auf, der Hund zuckte wieder. Was täte sie, wenn er nun wirklich nicht …? Sie wollte nicht weiterdenken, verbat sich das Denken an Toliks endgültigen Tod, konnte aber nicht verhindern, dass es in ihrem Kopf dumpf klang: nicht aufwachte, nicht aufwachte, nicht aufwachte. Sie spuckte über die linke Schulter. Sollte er verschwinden, der Teufel, der ihr das eingeflüstert hatte. Der Hund, nun ruhig neben ihr sitzend, gab ein gurrendes Geräusch von
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