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Der potemkinsche Hund: Roman (German Edition)

Der potemkinsche Hund: Roman (German Edition)

Titel: Der potemkinsche Hund: Roman (German Edition)
Autoren: Cordula Simon
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und das Ablegen der Blumen und Schleifen für den Toten und so weiter, auf der Rückseite einer Supermarktrechnung auf. Er musste, obwohl er sie in- und auswendig kannte, einen Punkt zwischen die Reihen drängen, weil er ihn vergessen hatte. »Vielleicht weil da so wenig Leute waren. Egal, der Tote hat kein Recht, hier zu sein. So oder so.«
    »War doch nicht dein Toter, was du gesehen hast. Geister kann man nicht sehen.« Endlich konnte man den Trunk deutlich in Serjogas Stimme hören. An jedem einzelnen Laut. Nur ein wolkenloser Himmel konnte wissen, wie blau er war. Ruhig würde es sein, wenn er endlich zu Bett ging. »Wirklich, er war’s. Hatte zwar komische abgewetzte Klamotten an, sah ein bisschen aus wie ein Clown, mit dem ganzen überhängenden Zuviel an Stoff, aber trotzdem. Ich hab ihn gesehen.« Wie um sich selbst zu bestätigen, nickte Vlad immer und immer wieder.
    »Sicher«, sagte Serjoga in einem Ton, mit gedehntem kehligen »i«, mit dem man anderen zu verstehen gibt, dass man sie für Dummköpfe hält. »Und was hätten wir auch machen sollen? Das blöde Grab offen lassen? Dann hätt man uns nicht bezahlt. Weder Vodka noch Saft. Und dann wären wir auch noch schuld. Leichendiebstahl oder so was. Der Tote braucht ja nix zu fürchten außer den Nekrophilen. Da säßen wir schon bei der Milicija, sag ich dir.«
    Vlad setzte sich auf das Fensterbrett, zündete sich eine Zigarette an, sagte leise, aus dem Fenster blickend, als würde er jeden Moment erwarten, dass Anatol Grigorjevič um die Ecke böge, »Aber ich hab ihn doch gesehen.«
    »Manchmal, weißt du, bin ich mir auch nicht sicher, ob ich was gesehen hab oder nicht, wenn ich getrunken hab, oder am nächsten Tag. Oder ich weiß nicht mehr, ob ich was getan hab oder nicht. Da steh ich dann hier in der Küche und frag mich, ob ich schon am Klo war. Aber das löst sich meistens von selber«, erklärte Serjoga ihm, wie es wohl gewesen sein müsste.
    »Ich bin nicht du und ich bin weder jetzt betrunken noch war ich’s gestern.« Demzufolge musste alles, was er gesehen hatte, wahr sein. Vlad sog bereits ausgetretenen Rauch wieder zurück in den Mund.
    In der Küche wurde es kurz still, sie saßen schweigend, als ginge ein Milicionär vorbei.
    »Hm. Ja, vielleicht hast du jemanden gesehen, der ihm wahnsinnig ähnlich sieht. Vielleicht sogar seinen Zwillingsbruder.«
    Vlad schüttelte den Kopf, einen Zwillingsbruder hätte er unter den Trauergästen bemerkt.
    Aber Serjoga hielt dagegen, dass es vielleicht ein Zwillingsbruder gewesen sei, mit dem der Tote sich zerstritten hatte. Ein böser Zwilling gewissermaßen.
    »Unwahrscheinlich«, murmelte Vlad und sein Kopfschütteln nahm kein Ende.
    »Oder, weil wir ja bei der Feier ordentlich gekippt haben«, hielt Serjoga eine weitere Lösung parat, »wär es ja möglich, dass das Grab gar nicht leer war. Der lag drinnen, wir haben’s nur nicht mehr gemerkt.«
    Doch Vlad war sich seiner Sache sicher, war sicher, was er gesehen hatte, und dass es nicht am Vodka gelegen haben konnte. »So betrunken war ich nicht. Erinnerst du dich? Ich musste dich nach Hause schleppen, weil du unter dem Tisch lagst.«
    »An gar nichts erinner ich mich«, grunzte Serjoga, und ob er nun schuld sei, dass Vlad Geister sehe.
    »Geister gibt es nicht.« Vlad legte die Zigarette in den Aschenbecher.
    »Was glaubst du, was das ist, wenn du schlecht träumst?«, wieder wedelte Serjoga mit dem Zeigefinger.
    »Das Gehirn, das sich ordnet«, antworte Vlad bestimmt.
    »Nein! Kikimora!«, jetzt wurde aus dem Zeigefingerwedeln ein Wedeln mit den Armen.
    »Kikimora? Der Hühnergott? Du spinnst ja.«
    Serjoga fasste sich an die Brust, zog eine Halskette mit einem kleinen Lochstein daran unter dem Hemd hervor, wand die Schnur über den Kopf und reichte sie Vlad und meinte, dass Vlad sie diese Nacht sicher dringender brauchen werde als er und erklärte auch, dass man den Geist schon auch verstehen könne, und wenn ihm nach dem Tod jemand etwas vom ewigen Leben erzählte, dann käme er auch zurück, um jemanden zu beißen oder zu verfolgen: »Ewig ist hoffentlich nicht ganz ewig.« Deswegen ging er auch nicht in die Kirche. Er drückte Vlad den Talisman in die Hand. Damit war das Problem für ihn gelöst.
    »Das ewige Leben verschwindet aber nicht, nur weil du nicht in die Kirche gehst. So es ein ewiges Leben überhaupt gibt.« Vlad betrachtete die Muttergottesikone, die Serjoga, als sie zusammen hier eingezogen waren, wie es sich eben gehörte, so
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