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Der potemkinsche Hund: Roman (German Edition)

Der potemkinsche Hund: Roman (German Edition)

Titel: Der potemkinsche Hund: Roman (German Edition)
Autoren: Cordula Simon
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Nicht nur Erde klebte auf seinem Gesicht, auch kleine hautfarbene Fetzen, an denen sich schon graue Ränder gebildet hatten, lösten sich von seinen Wangen, nein, er war sicher, das gehörte nicht zu seinem Körper, er wusch die Erde und das bröckelige Material ab, das einen befremdlich chemischen Geruch verbreitete, als es mit dem chlorierten Wasser in Berührung kam. Er stank und wusch eilig seinen Oberkörper über dem Waschbecken. Als er die Hose auszog, erkannte er, was erst so gejuckt hatte – die Windel rupfte er sich vom Körper, doch war die Watteeinlage geradezu mit seiner Haut verschmolzen, wieder dieser Schmerz, den er schon vom Hinsetzen kannte. Der gleiche Schmerz, nur kräftiger, reißend, als er auf dem geblümten Fliesenboden in die Hocke ging, um in dem Taschenspiegel zu betrachten, was ihm hier angetan worden war. Wie den Mund hatte man auch seinen Hintern vernäht, mit großer Sorgfalt offensichtlich: Die Nähte saßen straff und er machte sich daran, mit der kleinen Schere einzelne Fäden aufzuschneiden, bereits bei den ersten beiden Fäden hatte er mit der Schere seine Haut verletzt und als er daran zog, traten ihm wieder Tränen in die Augen, er atmete schwer, ein Schluchzen entfloh ihm, er kippte hintenüber auf den Rücken und blieb liegen, vielleicht sogar einige Minuten, bis er sich aufraffte, es zu Ende bringen wollte. Wie er sich doch über seinen Körper ärgerte, sich über sein Schmerzempfinden ärgerte, eine trotzige Wut, die ihm die Ohren taub machte. Von draußen hatte Marina gerufen, sie hatte sein Hinfallen gehört, doch er hatte es nicht bemerkt. Die Wut trieb ihn, unvorsichtig zu sein, die letzten Fäden rupfte er regelrecht von seinem Anus, er blutete, zog aber noch die Watte heraus und warf sie in den Eimer neben dem Klo, bevor er wieder nach hinten kippte. So liegend griff er nach dem Toilettenpapier und klemmte sich ein paar Blätter zwischen die Backen. Jetzt atmete er durch, wartete ein bisschen, bis sein Puls wieder etwas ruhiger wurde. Jedoch: Etwas war da noch. Er setzte sich auf, dumpf und reibend tat es weh, vermutlich das Papier, als er sich in den Schneidersitz begab, er würde mehr Papier brauchen, dieses hatte er schon durchgeblutet. Und abermals erschrak er, als er sah, dass auch sein Penis vernäht war, und nun, da sein Blut wieder geregelter floss, begann er anzuschwellen, doch nicht im üblichen gewollten Sinn: Um die Naht herum schwoll die Haut auf und begann sich rot und blau zu verfärben. Er suchte nach der Schere am Badezimmerboden, fand sie nicht gleich, kniete sich hin, er hatte darauf gesessen, und da sein Hinterteil noch so entsetzlich kalt war, hatte er gar nicht gespürt, dass er auf der Puppenschere gesessen hatte, sie hatte einen Abdruck auf seiner linken Hinterbacke hinterlassen. Wieder der reibende Schmerz, diesmal mit der nächsten Schicht Klopapier unter sich, als er sich wieder in den Schneidersitz begab und begann den Faden, der seine Vorhaut über der Eichel zusammengeschnürt hatte, vorsichtig aufzuschnippeln. Als er den schwarzen Kunststofffaden herauszog, brannte es, sein Penis blutete aber kaum. Noch einmal griff er nach dem Toilettenpapier, warf das angeblutete, auf dem er eben noch gesessen hatte, zu der Watte und dem anderen Papier in den Eimer, stopfte noch etwas Papier in die Unterhose, die ihm die alte Frau überlassen hatte. Er musste sie noch fragen, wie sie heiße, dachte er, während er in die zwei Nummern zu großen Hosen und das zu große Hemd schlüpfte, die Socken, immerhin, waren weniger löchrig und totgetragen als alle, die er selbst je besessen hatte, doch das Nachfragen würde er gleich vergessen. Als er das Bad verließ, wartete sie bereits auf ihn, nahm seinen Friedhofsanzug entgegen, schritt an ihm vorbei ins Bad und begann schon den Anzug mit viel Seife im Waschbecken auszuwaschen.
    Čelobaka war offenbar nur so lange folgsam gewesen, wie Marina mit dem Tee befasst war, danach hatte sie sich auf dem Diwan niedergelassen, einen Zipfel stark riechender Wurst aus dem Kühlschrank in der einen, ein Messer in der anderen Hand. Als Anatol aus dem Bad kam, ruhte der Hund zufrieden Wurst kauend auf einem ihrer Oberschenkel. Marina schien es nicht zu stören, dass er auf ihren geblümten langen Rock sabberte. Erst in diesem Licht sah Anatol, dass der Hund unter all dem Schmutz weißes Fell haben musste – Marina hatte ihn wohl notdürftig sauber gewischt, nur um ein Auge herum war das Fell dunkel, als hätte ihm jemand
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