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Der Portwein-Erbe

Titel: Der Portwein-Erbe
Autoren: dtv
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Postgraduation erworben, zwei Jahre. Studiensprache war Englisch, das Holländische kam von allein. Aber Portugiesisch?
     Nein, kein Wort, doch
Amanhecer
, das heißt Morgendämmerung . . .«
    Hassellbrinck lachte. »Nomen est omen – vielleicht beginnt sie gerade bei Ihnen. Sie werden sich das Weingut |27| anschauen. Mein Kollege in Porto spricht gut Englisch, Sie werden sich verständigen. Die erste Hürde könnten Sie nehmen. Danach
     wird es kompliziert. Ich kann Ihnen nicht sagen, wer sonst noch von dem Testament weiß, ob die Belegschaft informiert ist.
     Kennen Sie das Weingut? Waren Sie mal dort? Wann haben Sie Ihren Onkel zuletzt gesehen? Wie viele Mitarbeiter hatte er auf
     der – wie heißt das?– Quinta?«
    Dann kamen Fragen, von denen Nicolas viele nicht beantworten konnte. Hassellbrinck brachte ihn dazu, dass er ihm auch ein
     Bild seiner momentan desolaten Lebensumstände gab. In Deutschland sah er wenig Chancen, seinen Beruf in der Weise auszuüben,
     wie er es sich vorstellte.
    »Eine letzte Frage habe ich noch.« Nicolas blieb in der Tür stehen. »Hat mein Onkel irgendetwas für mich hinterlegt, ein Schriftstück,
     einen Brief, eine Erklärung, weshalb ich seine Quinta erben soll?«
    »Pereira hat mir nichts davon gesagt, ich nehme an, dass er die entsprechenden Unterlagen für Sie bereithält.«
    »Sie wissen wirklich nicht, weshalb Friedrich Hollmann gerade mir die Quinta vererbt hat? Es muss doch einen Grund geben.
     Welche Veranlassung sollte er gehabt haben?«
    »Sie werden es herausfinden, Herr Hollmann. Fahren Sie hin, Portugal ist schön, und die Menschen sind freundlich.«
     
    Verwirrt trat Nicolas vor die Tür des stattlichen Hauses und quetschte sich zwischen den geparkten Wagen hindurch, um die
     Straßenseite zu wechseln. Die Blechkisten störten ihn maßlos, nicht nur, dass sie die Luft verpesteten; als fixer Bestandteil
     jedes Stadtbildes verschandelten sie die Bildfläche, rahmten die Gebäude ein wie ehemals Vorgärten und Rabatten. Aus keiner
     Landschaft waren sie mehr wegzudenken. Nur auf Schrottplätzen gefielen ihm die Autos, dort faszinierte ihn ihr Anblick: ausgeschlachtet,
     zertrümmert,  |28| dem Verfall preisgegeben, so offenbarten sie ihre wahre Natur, der Schrottplatz war ihre finale Bestimmung, und er konnte
     fast ein wenig Mitleid mit ihnen haben. Ob eine Reise nach Portugal seine Kollektion von Fotos mit Autowracks in ausdrucksstarken
     Landschaften bereichern würde? Einen zerbeulten und verrosteten Japaner oder Franzosen zwischen Weinreben in der Morgendämmerung
     hatte er noch nirgends fotografiert.
    Vor dem Weinladen, den ihm Hassellbrinck empfohlen hatte, blieb er stehen. »Arbeiten Sie sich möglichst rasch ins Thema ein«,
     hatte der Anwalt geraten. »Nur so können Sie ein fundiertes Urteil fällen. Je eher Sie damit beginnen, desto klarer wird Ihr
     Blick – und Ihr Geschmackssinn. Trainieren Sie Ihren Geruchssinn, riechen Sie an allem, was Ihnen unter die Nase kommt. Und
     wenn Sie Lust haben, kommen Sie gelegentlich mal zu mir zu einer Weinprobe, ich habe einen sehr schönen Keller. Man sieht
     und schmeckt nur, was man kennt – und berichten Sie mir, wenn Sie aus Portugal zurück sind. Alles Weitere regelt Pereira.«
     Mehr hatte er ihm nicht gesagt.
    Sollte er sich wirklich das Weingut ansehen? Ein kleiner Urlaub konnte nichts schaden, Billigflieger nach Porto gab es bestimmt.
     Als er sich fragte, ob er Sylvia dabeihaben wollte, war er an dem empfohlenen Weinladen angelangt. Er verschob die Beantwortung
     auf später. Die Auslage war lieblos gestaltet, lediglich Flaschen verschiedener Form und Größe auf umgestülpten Weinkisten,
     eingebettet in Holzwolle, mit Schleifchen um den Hals, stehend oder liegend, Namen und Preise auf den Zettelchen daneben.
     Einfallslos. Dabei stammten die Weine aus den schönsten Gegenden der Welt. Bei so viel Natur musste es doch andere Stoffe
     geben als Holzwolle. Sogar die Optiker, die lediglich Brillen und Kontaktlinsen verkauften, gestalteten ihre Schaufenster
     spritziger. Von außen gesehen gab es keinen Grund, hier einzutreten.
    |29| Er tat es trotzdem und sah sich vorsichtig um. Die Frau hinter dem Tresen sah nicht einmal auf, obwohl die Türglocke läutete.
     Über einen Block gebeugt schrieb sie weiter. Berliner Freundlichkeit. Schnauze mit Herz hatte es früher geheißen; die Schnauze
     war übrig geblieben und das Herz auf der Strecke – wie bei Onkel Friedrich, dachte er. Ist Herzstillstand ein
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