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Der Portwein-Erbe

Titel: Der Portwein-Erbe
Autoren: dtv
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ließ. »Wäre aber hilfreich, besonders in Ihrem Fall.« Er seufzte,
     griff nach einer Mappe und schlug sie auf. »Andererseits – vielleicht brauchen Sie es nicht. Dr. Pereira will mir übrigens
     eine Kiste Wein von Ihrem Onkel schicken, soll sehr gut sein, auch sein Portwein, ein Tawny. Nun zu der Sache, deretwegen
     ich Sie hergebeten habe.«
    »Können Sie mir sagen, woran mein Onkel gestorben ist?«, unterbrach ihn Nicolas, denn seine Nachfragen im Familienkreis –
     er hatte sich überwunden und auch seinen Vater angerufen – hatten nichts ergeben. »Friedrich war Jahrgang 1947, es hat nie
     jemand erwähnt, dass er krank war. Gut, ich habe selten von ihm gehört. Sie wissen, wie das so ist . . .« Nicolas war es unangenehm,
     darüber zu sprechen. »Sein Bruder, mein Vater, weiß auch nichts. Der Kontakt war aufs absolute Minimum beschränkt, wenn Sie
     so wollen. Mal ein Weinpaket zu Weihnachten . . .«
    »Verstehe«, sagte der Anwalt. Wahrscheinlich kannte er |25| derlei Geschichten zur Genüge. »Pereira hat von Herzversagen gesprochen, Genaueres müssten Sie vor Ort erfragen. Sprechen
     Sie mit seinem Arzt, wenn Sie dort sind, der weiß sicherlich mehr. In unserem Alter geht es manchmal schnell. Nun lassen Sie
     mich Ihnen die Angelegenheit erläutern.«
    Nicolas hob erstaunt den Kopf. »Wenn ich dort bin? Wo, in Portugal? Wieso?«
    »Wie bereits erwähnt, hat Friedrich Hollmann Sie als Erben eingesetzt, als Alleinerben. Er hat Ihnen sein Weingut nebst Immobilien
     sowie den festen wie auch den beweglichen Gütern hinterlassen. Dazu gehören die Kellerei, das Wohnhaus, 36 Hektar Weinberge
     der Kategorie A bis C. Was das bedeutet, entzieht sich meiner Kenntnis – des Weiteren Fahrzeuge, Mobiliar, Bilder, Möbel .
     . .«
    »Mir? Wieso mir?«, fragte Nicolas fassungslos, nachdem der Anwalt die Aufzählung beendet hatte. »Was soll ich damit?«
    Hassellbrinck schien Nicolas’ Verwirrung zu amüsieren. »Diese Frage habe ich in Zusammenhang mit einer Erbschaft noch nie
     gehört. Sie können das Erbe ausschlagen, das bleibt Ihnen überlassen. Es gibt allerdings eine Einschränkung von Seiten des
     Erblassers. Sie können das Erbe nur unter einer bestimmten Bedingung antreten.«
    »Und die wäre?« Nicolas ging auf Abstand, spürte, wie er sich versteifte. Seine Neugier wandelte sich schlagartig in Misstrauen.
     Die Familie war eine Krake, die einen mit tausend Saugnäpfen festhielt und von dem abhielt, was man selbst wollte. Man hatte
     Erwartungen zu erfüllen, aber nicht so zu sein, wie man war.
    »Sie, Herr Hollmann, erben das alles unter der Bedingung, dass Sie das Weingut betreiben. Was bedeutet, dass Sie dort Ihren
     Wohnsitz nehmen müssten. Für die Entscheidung bleibt Ihnen ein halbes Jahr Zeit. Pereira hat mir den 28. Oktober dieses Jahres
     als letzten Termin genannt. Wenn Sie ablehnen, erben die Mitarbeiter alles.«
    |26| Die Pause, die entstand, als der Rechtsanwalt sich zurücklehnte, die Arme vor der Brust verschränkte und auf Nicolas’ Reaktion
     wartete, war mehr als lang. Hassellbrinck war sich der Wirkung seiner Worte durchaus bewusst, mit Worten zu beeindrucken war
     sein Geschäft. Es war weniger eine Pause als vielmehr eine vollkommene Leere, die von Nicolas Besitz ergriff, ein Schwebezustand,
     unwirklich und unbekannt. Tausend Gedanken gingen ihm durch den Kopf, doch nicht ein einziger nahm derart Gestalt an, dass
     er ihn hätte aussprechen können. Er war sprachlos.
    »Diese Eröffnung überrascht Sie. Verstehen Sie etwas von Wein und Weingütern?«
    Nicolas schüttelte nur den Kopf; er hatte seine Sprache noch nicht wiedergefunden.
    »Und Sie sprechen wirklich gar kein Portugiesisch?«
    Wieder schüttelte Nicolas den Kopf. Unfassbar, er hatte damit gerechnet, vielleicht ein Bild, Zeichnungen oder die Architekturbücher
     zu erben, denn Friedrich hatte, wie alle in der Familie, Architektur studiert, bis auf seinen Vater, der Bauingenieur geworden
     war. Der Rechenmaschine, wie der Onkel seinen Bruder nannte, fehlte jede künstlerische Begabung. Dass der Vater Beamte bestach,
     sich Lieferanten oder Subunternehmer gefügig machte und Politiker für sich arbeiten ließ, wie in der Branche üblich, passte
     zu seinen Künsten. Im Grunde genommen war es diese Art, die Nicolas von ihm entfernt hatte.
    »Herr Hollmann!«
    »Was haben Sie gefragt?«, sagte Nicolas fahrig. »Sprachen? Ja, Schulfranzösisch, Latein und – ich habe am Berlage-Institut
     in Rotterdam die
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