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Der Portwein-Erbe

Titel: Der Portwein-Erbe
Autoren: dtv
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nahe wird es dir nicht gehen, bei deiner Familienparanoia«, |34| bemerkte sie schnippisch. »Wieso ist er so plötzlich gestorben? War er krank? Ich meine vorher, so ein Herzleiden kündigt
     sich an. Andererseits«, sie lächelte gekünstelt, Mitgefühl heuchelnd, »mit 60 ist kaum jemand mehr richtig fit, und bei dem
     Lebenswandel in den südlichen Ländern, wer weiß. Hat er viel getrunken?«
    Waren das nicht die Worte seiner Mutter, vom Lebenswandel in den südlichen Ländern? Was stellten sie sich eigentlich unter
     dem Süden vor? Hochhäuser an der Costa del Sol oder einen Ferienklub in Atalaya, dazu Ballermann auf Mallorca? Promiskuität
     und tägliche Weinorgien an der Algarve? Nichts hielt sich so hartnäckig wie Vorurteile. Nicolas kam die Idee, dass er sich
     vielleicht wegen der gewissen Ähnlichkeit mit seiner Mutter für Sylvia entschieden hatte. Gut zu wissen, dass er unter einem
     Ödipuskomplex litt. Allerdings hatte er sich nie für Sylvia bewusst entschieden. Sie war einfach da gewesen. Also bestand
     Hoffnung für ihn.
    »Ich weiß nicht, ob seine Gesundheit angegriffen war. Unser Kontakt war minimal. Ich hatte bislang keinen Grund, von ihm zu
     erzählen, und mein Besuch bei ihm liegt lange zurück.«
    Sylvia wollte nicht über Friedrich Hollmann sprechen, sie wollte über Nicolas sprechen. »Du wirst dich entscheiden müssen,
     du schiebst immer alles vor dir her, du verzettelst dich, du musst dir Ziele setzen – das ist nicht dein Ernst, von wegen
     nach Portugal reisen?«
    »Klar, ich überlege allen Ernstes, ob ich mir das ansehen sollte. Es wäre dumm, es nicht zu tun. Reisen bildet . . .«
    »Ach was!«, sagte Sylvia voller Überzeugung. »Portugal ist zwar in der Europäischen Gemeinschaft, die Menschen sind aber total
     anders als wir. Und rückständig, das Armenhaus der EG.«
    »Du hast mir gar nicht erzählt, dass du mal dort warst«, sagte Nicolas lauernd. Er bekam Lust, sie zu provozieren.
    |35| »War ich auch nicht, und ich brauche es auch nicht zu kennen«, meinte Sylvia ohne den geringsten Selbstzweifel. »Ich habe
     an der Schule genug mit Ausländern zu tun. Das ist in allen Ländern gleich. Du bleibst draußen, du kommst nicht rein, eine
     geschlossene Gesellschaft. Menschen mögen nun mal keine – Fremden.«
    Du vielleicht nicht, wollte Nicolas sagen, aber er verkniff es sich, es hätte sich beleidigend angehört, und die Grundstimmung
     ihres Gesprächs war angespannt genug.
    »Ich will da gar nicht rein, in diese Gesellschaft, ich will mir das Weingut ansehen.«
    »Ich denke, du warst mal da.«
    Heute nervte sie ihn besonders. »Das ist lange her. Ich weiß nur noch, dass sein Haus in einer traumhaften Landschaft liegt,
     an einem Fluss oder an einer Talsperre, ein irrer Blick, rings von Weinbergen umgeben, Terrassen, ein großer Garten, es sind
     mehrere Gebäude, soweit ich mich erinnere.« Je länger die Aufzählung wurde, desto klarer wurde die Vergangenheit. »Außerdem
     – unter diesen Voraussetzungen schaut man anders hin.«
    Sylvia gab sich nie leicht geschlagen, sie hatte immer noch ein Argument, wenn er längst aufgegeben hatte. »Dich soll einer
     verstehen. Erst träumst du davon, dass du als Architekt Häuser entwerfen willst, die Architektur revolutionieren, ja künstlerisch
     oder wie auch immer tätig sein willst, und dann kommst du mit einer Erbschaft. Das war doch ein rotes Tuch für dich, deine
     Frankfurter Erbschaft, Familien, die sich ihre Mitglieder mittels Geld gefügig machen. Ich werde mich nicht als Erbe definieren,
     dein Originalton, mein Lieber . . .«
    »Friedrich war anders, der hat sich genauso von der Familie abgesetzt wie ... er war ein . . .« – Nicolas suchte nach einem
     passenden Begriff – »ein Nonkonformist, der ist seinen eigenen Weg gegangen, ein ziemlich cooler Typ.« Unwillkürlich dachte
     Nicolas an den Rechtsanwalt, der ihm |36| gestern die Eröffnung mit der Erbschaft gemacht hatte. Sie waren sich ähnlich.
    »Wie willst du dich mit diesen Leuten verständigen, mit den Angestellten und Arbeitern? Der Onkel wird nicht alles allein
     gemacht haben. Seine Leute werden dir sonst was erzählen, aber nicht das, was du wissen willst. Du kennst die rechtliche Lage
     gar nicht, die portugiesischen Gesetze, Steuerrecht, ach ... du überblickst gar nicht, wer sonst noch was erbt, mit wem du
     teilen musst, wer hinterher Ansprüche erhebt. Wenn es was zu holen gibt, halten alle die Hände auf und haben dabei das Messer
    
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