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Der Portwein-Erbe

Titel: Der Portwein-Erbe
Autoren: dtv
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immer nur kurz ein, wachte auf, wälzte sich
     die halbe Nacht im Bett, und wenn er mal schlief, wachte er nach Albträumen schweißgebadet auf. Otelo schrieb es der Entführung
     zu. »Ein Trauma«, er selbst leide immer noch unter den Erinnerungen an den Krieg. »Ich habe leider viel zu spät mit der Therapie
     begonnen, sie hat mir sehr geholfen.« Nur die Träume waren geblieben, sie seien jedoch nicht so schrecklich wie vor der Behandlung.
     Habe er früher Kriegszenen geträumt, so säßen jetzt Afrikaner in einem Kreis um ihn herum und starrten ihn an, als warteten
     sie auf eine Antwort. Aber er hatte keine.
    Happe hatte die Idee gehabt, Nicolas mit verbundenen Augen hinten in den Wagen zu setzen und die Strecke abzufahren, die seine
     Entführer möglicherweise genommen hatten. Nicolas hatte sich heftig dagegen gewehrt. Die Vorstellung, sich die Augen verbinden
     zu lassen und alles noch einmal zu durchleben, war zu grauenhaft. Dann aber hatte er eingewilligt, es mit offenen Augen zu
     probieren. Anschließend hatte er auf den Boden gestarrt, während Happe gefahren war, und sich zuletzt ein dünnes Tuch locker
     über den Kopf gelegt.
    |372| Bis nach Peso da Régua war es einfach gewesen, den Weg blind zu rekonstruieren. Zuerst kam die Geschwindigkeitsbegrenzung
     auf 50 Stundenkilometer in Folgosa, nach acht Minuten die scharfe Linkskurve vor der Kneipe und danach der Kreisverkehr. Das
     Geräusch, das die Reifen auf der Brücke machten, war ihm mittlerweile vertraut, und dann kam die Abzweigung nach rechts. Danach
     war es kompliziert geworden. An den leichten Anstieg konnte er sich erinnern, bei den folgenden Kurven hinauf in die Berge
     wurde es schwierig, und hinter den Bahngleisen setzte die Erinnerung aus.
    Allerdings zeigte sich bald in anderer Hinsicht ein positives Ergebnis ihrer Bemühungen: Nicolas konnte wieder schlafen. Je
     öfter sie die quälende Prozedur wiederholten, desto mehr verlor sie ihren Schrecken, und sein Waschzwang ließ nach. Irgendwann
     würden sie den Kies der Einfahrt unter den Reifen hören, dann würden sie vor dem Haus der Entführer stehen – nur was dann?
     Er hatte nichts und niemanden gesehen. Aber zu wissen, wer dort wohnte, konnte hilfreich sein. Und er würde sich an die Stimmen
     erinnern. Pereira würde wissen, was zu tun wäre. Ein Ziel jedenfalls hatten die Entführer erreicht, nämlich ihn zu terrorisieren.
     Er wusste, dass sie hier irgendwo lebten, dass sie ihn beobachteten und vielleicht auch bereit waren, irgendwann wieder zuzuschlagen
     – wenn Dr. Veloso wieder auftauchte oder ein Nachfolger ...
    Der Geländewagen war ohne Kratzer in Spanien am Hafen von Cádiz gefunden worden. Entweder, so interpretierte Pereira den Sachverhalt,
     war Veloso damit getürmt und hatte ihn dort stehen lassen, oder man hatte ihn nicht nach Marokko verschieben können. Erstaunlicherweise
     war er bereits kurz nach dem Raub von einer Lissabonner Behörde als »sichergestellt« aus der Fahndungsliste genommen worden,
     und es hatten so viele Leute an dem Wagen herumgefummelt, dass sich eine Untersuchung nach Fingerabdrücken |373| erübrigte. Nicolas wollte den Spritfresser keinesfalls zurück, er hatte keine Verwendung dafür. Ein Renault-Kastenwagen tat
     es auch; mit den richtigen Reifen kletterte er wie eine Bergziege die Piste zur Quinta hinauf und verfügte über die nötige
     Bodenfreiheit. Nach Porto kam man damit auch in einer guten Stunde, um Lovely Rita vom Bahnhof oder vom Flugplatz abzuholen.
    Natrium-Pentobarbital – das hatte die Autopsie von Friedrichs Leiche ergeben – und die Analyse des Portweins, der für Nicolas
     bestimmt war. Das Mittel wirkte sofort. Man schlief innerhalb weniger Minuten ein und wachte niemals wieder auf. Es wurde
     in der Schweiz bei der Sterbehilfe angewandt. Ob Veloso es besorgt hatte?
    »Wie hinterlistig und feige einen Menschen im Schlaf zu töten«, meinte Otelo unversöhnlich. Er versuchte nicht im Mindesten,
     die Beweggründe von Dona Madalena zu verstehen, aber Nicolas wollte verstehen, warum die Frau seinen Onkel heimtückisch ermordet
     hatte.
    Sie hatte Veloso in den USA kennengelernt, später in Lissabon war sie dann mit ihm liiert gewesen. Sie hatte sich von ihm
     getrennt, war aber immer zu ihm zurückgekehrt. So auch vor drei Jahren, als sie sich in Lissabon zufällig über den Weg gelaufen
     waren. Sie hatten ihr Verhältnis wiederaufgenommen. So weit ließ sich der Weg rekonstruieren. Veloso war ihr gefolgt und
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