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Der Peststurm

Der Peststurm

Titel: Der Peststurm
Autoren: Bernhard Wucherer
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hatte der zudem auch noch als interimistischer Ortsvorsteher fungierende gräfliche Beamte mitten auf den Markt ein Tischchen gestellt, auf dem jetzt eine Art Quittungsbuch bereitlag, in dem die Angehörigen der damaligen Opfer des Arztes nach dem Empfang des Geldes ihre Kreuzchen machen konnten. Jetzt musste der allseits geachtete, großgewachsene Mann nur noch darauf warten, dass die Leute kommen würden und er mit jedem Einzelnen würde abrechnen können.
    Zu seiner Sicherheit und zur Sicherheit des Geldes hatte ihm Oberamtmann Speen zwei Wachsoldaten aus der Residenzstadt Immenstadt geschickt. Aufgrund der Erfahrungen, die einst zwei ihrer Kameraden auf dem hiesigen Markt hatten machen müssen, waren sie nicht gerne nach Staufen geritten. Aber Befehl war schließlich Befehl. Ihre Angst, Staufen, wie einst ein anderer Soldat, bäuchlings auf ihre Pferde gebunden, verlassen zu müssen, hatte wenigstens den Vorteil, dass sie ihre Aufgabe ernst nehmen und noch wachsamer sein würden, als dies ohnehin der Fall war.
    Obwohl noch früh am Morgen, baute schon ein Händler nach dem anderen seinen Stand auf. Offensichtlich hatte es den erhofften Erfolg gezeitigt, dass die Staufner die Hinrichtung des Arztes dafür hatten nutzen können, um bei den auswärtigen Gaffern für ihren Wochenmarkt zu werben. Der Weißgerber und der Rotgerber hatten ihren Gemeinschaftsstand bereits komplett aufgebaut und ihre Waren verkaufsfördernd drapiert, ebenso der Nadler, der Drechsler und die beiden Kesselflicker, die sich misstrauisch beäugten. Die Bechtelerbäuerin schleppte gerade einen Haufen Schafspelze, etliche gestrickte Kittel und eine Vielzahl grau und braun gewirkter Strümpfe aller Größen herbei, um sie auf einem groben Holztisch auszubreiten. Obwohl die kräftige Frau mit dem wirren Haar wusste, dass sie jetzt im Frühjahr wesentlich schlechtere Geschäfte machen würde als im Herbst, war sie bestens bestückt und gut gelaunt. Da dem Kastellan über den Winter hinweg der Tabakvorrat knapp geworden war, hielt er Ausschau nach dem ›Rauchhändler‹, der stets auch Pfeifen und anderen Tand mit sich führte. Während der hohe gräfliche Beamte überlegte, ob er sich auch noch eine der modernen Meerschaumpfeifen, die der betagte Händler im letzten Jahr aus Flandern eingeführt hatte, leisten sollte, sah er die beiden Karren des bohnenlangen Gemüsebauern aus Lindau, gefolgt vom pausbäckigen Weinbauern aus Kressbronn und ein Stück dahinter das klapprige Gefährt des als listig bekannten jüdischen Öl- und Fetthändlers, der bis vom Oberschwäbischen angereist war, hintereinander in den Ort hereinholpern. Um sich eines eventuellen Hinterhaltes auf dem berüchtigten Hahnschenkel besser erwehren zu können, hatten sie es vorgezogen, im schützenden Tross zu reisen.
    »Na endlich«, rief ihnen der interimsweise eingesetzte Ortsvorsteher, der sich schon Sorgen darum gemacht hatte, ob heute wohl einige Lebensmittelhändler kommen würden, winkend und lachend entgegen. So nach und nach füllte sich der Platz. Mittlerweile trafen die letzten Handwerker und Krämer, zu denen auch der ›Bunte Jakob‹ zählte, ein. Dessen Wagen war so vielfarbig, weil er mit allem schacherte, was sich zu Geld machen ließ. Dass es das allerorten bekannte Schlitzohr mit der Herkunft seiner Waren nicht immer genau nahm, kratzte nicht im Mindesten an seinem Ansehen. Er war ein Faktotum, das auf jeden Markt gehörte. So war es kein Wunder, dass ihm die Kinder des Dorfes freudestrahlend entgegenrannten.
     
    Judith Bomberg, der Frau des einzigen Juden im Dorf, war es trotz aller Probleme über den Winter gelungen, aus ihren wenigen Hühnern und dem einzig verbliebenen Hahn eine beachtliche Zucht hervorzubringen. Die gut aussehende Frau mochte zwar noch nicht allzu viel davon entbehren, konnte aber immerhin schon neun Junghennen und etliche Dutzend Eier zum Kauf anbieten. Als die letzten Fieranten ihre Marktstände aufbauten, waren auch schon die ersten Marktbesucher unterwegs. Unter ihnen befand sich Konstanze Dreyling von Wagrain, die stolze und strenge Frau des Schlossverwalters. Dadurch, dass die großgewachsene, schlanke Kastellanin im Gegensatz zu den meist abgearbeiteten Frauen des Dorfes kerzengerade und zudem erhobenen Hauptes über den Markt schlenderte, wirkte sie eingebildet, ja sogar arrogant. Aber diese Einschätzung würde ihr nicht ganz gerecht werden. Sicher, sie wusste, dass sie sich in jeder Hinsicht von den anderen Frauen abhob. Darauf
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