Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Peststurm

Der Peststurm

Titel: Der Peststurm
Autoren: Bernhard Wucherer
Vom Netzwerk:
– vor seinem Stand selbst noch unsichtbar – einen Schuh in die Höhe hielt.
    »Na ja. Auch wenn ich keinen neuen Schuh bekommen habe, bin ich doch wieder im Besitz des einen. Dann werde ich einen dazu passenden doch woanders nähen lassen müssen oder ein neues Paar kaufen«, stellte Konstanze gleichsam zornig und enttäuscht fest.
    Der ›Pater‹, der am Nebenstand lehnte und dies gehört hatte, rieb sich schon die Hände. Er glaubte, dass dieses Geschäft jetzt ihm zukommen würde. Immerhin war er der einzige Schuhmacher des Dorfes … und noch dazu ein Meister seines Faches, den man, trotz seiner menschenverachtenden Lebenseinstellung, sogar in die Zunft aufgenommen hatte. Aber er sollte enttäuscht und seine Wut auf die Frau des Kastellans noch größer werden.
    Als Konstanze eine Hand nach ihrem Sohn ausstreckte und ihn mit seinem Namen rief, wurde nicht nur der Totengräber neugierig. Auch die anderen Umstehenden warteten ab, ob noch etwas käme.
    »Gute Frau«, rief ihr der Schuhflicker nach, »kommt zurück! Ich habe nur Gleiches mit Gleichem vergolten und mir einen Scherz mit Euch erlaubt. Seht!« Dabei zeigte er zum Himmel. »Ihr habt endlich wieder Markttag in Staufen und dazu auch noch herrliches Krämerwetter.«
    Als sich Konstanze umdrehte, sah sie, wie der Schuhflicker freudestrahlend den zweiten Schuh in die Höhe hielt. Dies bemerkte allerdings auch der Totengräber, der jetzt nur noch eins und eins zusammenzählen musste, um ganz sicher zu wissen, dass er ein Narr gewesen und dies der Schuh war, dessen Pendant er Lodewig vom Fuß gezogen hatte, als dieser mit seinem Bruder Diederich durch ein Loch in der Kirchhofmauer vor ihm und dem Medicus geflohen war. Er könnte sich für seine Dummheit selbst abwatschen. Schlagartig war ihm bewusst geworden, dass es der kleinere der beiden Knaben war, der vor ihm am Rockzipfel seiner Mutter hing und der ihn damals auf dem Kirchhof belauscht hatte, als er mit dem Medicus zusammen die Vorgehensweise für die ›Pestmorde‹ besprochen hatte.
    »Und ich Narr habe wegen einer mistigen Namensverwechslung die beiden Söhne des Blaufärbers umgebracht. Es gibt in Staufen also doch noch einen Burschen, dessen Namen dem des jüngeren Blaufärbersohnes ähnelt … Der eine hat Didrik geheißen und dieser Arsch hier heißt Diederich! Ich habe es doch gewusst: Er war es, der den Medicus und mich belauscht hat«, hatte er, leise vor sich hinmurmelnd, festgestellt, bevor er laut fluchte und sich mit der linken Faust in die rechte Handfläche hieb, während er sich durch die Menschenmenge näher an den Stand des Schuhflickers durcharbeitete, um das frisch genähte Leder genauer betrachten zu können.
    Wenn es sich dabei auch noch um einen rechten Schuh handelt, weiß ich ganz gewiss, dass ich anstatt dem älteren Blaufärbersohn dem größeren Sohn des Kastellans einen Schuh abgestreift habe, als die beiden durch ein Loch in der Kirchhofmauer geflohen sind. Dann hege ich nicht mehr den geringsten Zweifel daran, dass ich die falschen Knaben zum Schweigen gebracht habe, reimte er sich fahrig zusammen und fluchte wieder laut: »Verdammte Scheiße! So ein Mist aber auch!«
     
    *
     
    In seinem Zorn schlug der übel aussehende, der bärtige Geselle mit seiner Augenklappe, so fest an eine der Befestigungsstangen des ihm am nächsten stehenden Marktstandes, dass das lappige Standdach des Knopfmachers in Schieflage geriet. Als der greise Händler mit dem auffallend langen Schnurrbart, der ihm müde zu beiden Seiten des Mundes herunterhing, die hölzerne Stange packen wollte, um ein Zusammenkrachen seines Verkaufsstandes zu verhindern, fiel er damit ungebremst so fest in seine Ware, dass den vorbeilaufenden Marktbesuchern die Knöpfe um die Ohren flogen. Während einige erschrocken zur Seite sprangen, begannen die meisten Männer, lauthals zu lachen. Ihre raffgierigen Frauen nutzten derweil die Gelegenheit, um hastig die auf dem Boden verstreuten Hirschhornknöpfe einzusammeln. Dabei hatten sie das Glück, den völlig aufgelösten Händler so mit sich selbst beschäftigt zu sehen, dass dieser davon kaum etwas mitbekam. Ungeachtet dessen, sollte er noch ganz andere Probleme bekommen. Beim Fallen riss der zittrige Mann alles mit sich, was er vor gut einer Stunde mühsam allein aufgebaut hatte, während seine junge Frau das Geschäft auf ihre Art angekurbelt hatte. So zog er ungewollt auch den Stoffverschlag, den er extra hierzu hinter seinem Stand angebracht hatte, von den
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher