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Der Peststurm

Der Peststurm

Titel: Der Peststurm
Autoren: Bernhard Wucherer
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dass sich vor dessen Tischchen eine lange Schlange gebildet hatte.
    Aber nicht alle waren in der glücklichen Lage, einen warmen Regenguss in Form von mehr oder weniger Hellern, Kreuzern und Gulden oder Schmuck über sich rieseln zu lassen. Zu ihnen zählte auch der örtliche Dorfschuhmacher Hemmo Grob. »Na, schon einen Gewinn erzielt?«, wurde Judith Bomberg von dem unangenehmen Mann, den wegen seiner Geschwätzigkeit alle nur den ›Pater‹ nannten, süffisant gefragt. Der missgünstige Lederer konnte es einfach nicht lassen, die braven Leute zu piesacken, wo es nur ging. Sein Hass gegen die Juden im Allgemeinen und die in Staufen lebenden Bombergs im Besonderen war so groß, dass er es am liebsten gesehen hätte, wenn die ganze Mischpoke neben dem Medicus aufgehängt worden wäre. Es passte ihm nicht, dass in Staufen jetzt alles so friedlich und harmonisch zuging und sogar wieder ein Markt stattfand. Nicht einmal dieser Scheißkrieg kommt nach Staufen, dachte der Verblendete, in der Hoffnung, die damit verbundenen Wirren für seine Zwecke ausnutzen zu können. Es ärgerte ihn, dass er beim besten Willen keine Handhabe hatte, den Bombergs etwas nachzusagen, weswegen man sie hätte vor Gericht zerren können. Und im Augenblick war der ›Pater‹ ganz besonders stinkig, weil er mitbekommen hatte, dass die Menschen am Stand seines fahrenden Berufskollegen sogar anstanden, um dort ihre Schuhe reparieren zu lassen, Lederreste oder auch neue Schuhe zu kaufen, anstatt ihm diese Geschäfte zukommen zu lassen. Und dass sich darunter nicht nur Auswärtige, sondern auch etliche Staufner, wie der Blaufärber Hannß Opser, befanden, wurmte ihn ganz besonders.
    »Keine Finger, um eine Faust machen zu können, aber Geld für neue Schuhe haben«, murmelte er in Anspielung darauf, dass dem Blaufärber und seiner Frau Gunda im vergangenen Winter ein paar Glieder abgefroren waren, als sie trotz Eiseskälte nach Dietmannsried kutschiert waren, um ihren vermissten Sohn Otward zu suchen. Als er auch noch sah, dass sich die Frau des Kastellans unter den Wartenden befand, hätte er Gift und Galle spucken können.
    Nachdem Konstanze fast das Viertel einer Stunde gewartet hatte, kam sie endlich an die Reihe. »Habt Ihr den Schuh für meinen Sohn?«, fragte sie sofort in forderndem Ton.
    Der Schuhflicker, der seit langer Zeit zum ersten Mal wieder aus dem im oberen Allgäu liegenden Weiler Kierwang nach Staufen gekommen war und die ansonsten freundliche, zumindest aber höfliche Frau kannte, wollte ihr dies zurückgeben, indem er den Kopf schüttelte und die Mundwinkel so nach unten zog, als wenn er von nichts wüsste.
    »Aber Ihr habt doch im letzten Herbst einen Schuh als Muster entgegengenommen, damit Ihr für meinen Sohn Lodewig einen zweiten dazu machen könnt! Wisst Ihr das denn nicht mehr?«
    Der kräftige Mann zauberte einen fragenden Ausdruck auf sein Gesicht, zwirbelte seinen gepflegten Schnauzbart und zuckte mit den Achseln, gab aber keine Antwort.
    »Es war an jenem denkwürdigen Tag, als hier ein Soldat den Stichen einer Mistgabel erlegen ist! Das müsst Ihr doch noch wissen! Es war der letzte Markttag vor dem Marktverbot seiner Exzellenz, des Grafen zu Königsegg«, beschwor Konstanze den Schuhflicker, der sich nun seinen spitzen Kinnbart kraulte, während er wieder kopfschüttelnd die Mundwinkel nach unten zog, anstatt zu antworten.
    Erst als die leicht erregbare Konstanze Dreyling von Wagrain so laut wurde, dass sogar andere Leute auf den einseitigen Disput aufmerksam wurden, erhob der Schuster den Zeigefinger und das Wort: »Bleibt gelassen, gute Frau! Vielleicht habe ich ja etwas anderes, das Euer Herz erfreuen könnte!«
    »Ich möchte nichts anderes als meinen Schuh zurück, wenn Ihr schon nicht in der Lage gewesen seid, den dazu passenden zu nähen«, entgegnete sie jetzt in einem derart lauten Ton, dass nicht nur die herumstehenden, sondern sämtliche Marktbesucher und Händler, an deren Ständen sie gerade verweilten, plötzlich still waren und sich allesamt dem Stand des Schuhflickers zuwandten. Darunter befanden sich auch der ›Pater‹, der von dort aus einen guten Blick auf seine ungeliebte Konkurrenz hatte, und der Totengräber, der nach langer Zeit wieder versuchen wollte, mit dem Bunten Jakob irgendeinen lohnenden Handel einzugehen, und sei dies auch ein noch so schmutziges Geschäft.
    Der Schuster kroch unter seinen Marktstand und schien nach etwas zu kramen. »Ah! … Da ist er ja«, rief er, während er
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