Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Peststurm

Der Peststurm

Titel: Der Peststurm
Autoren: Bernhard Wucherer
Vom Netzwerk:
Haltestangen und sorgte somit dafür, dass nun der komplette Marktstand in sich zusammenbrach.
    Die stehen gebliebenen Marktbesucher hatten sich jetzt allesamt vom Stand des Schuhflickers abgewandt und blickten gespannt auf den Stoffverhau, der sich wie durch Geisterhände zu bewegen schien. Sie wunderten sich über das wüste Weibergekeife, das darunter zu hören war und von einem lauten Männergefluche begleitet wurde. Ihnen war klar, dass sich in der Stoffplane jemand verheddert haben musste und sich daraus befreien wollte – aber wer?
    Als darunter ein barbusiges, rothaariges, junges Weib hervorkroch, staunten sie nicht schlecht. Da die meisten Männer von ihren Frauen sofort vom Ort des Geschehens weggezerrt wurden und einer aufgrund seines lüsternen Grinsens sogar eine schallende Ohrfeige bekam, war es nur wenigen vergönnt, ihren Fantasien zumindest ein Stückchen freien Lauf zu lassen.
    Anstatt sofort ihre beachtenswerte Blöße zu verdecken, zerrte die Frau, die offensichtlich soeben einem Mann ihre Gunst erwiesen hatte, wütend an den Zeltstoffen und gab dadurch den Blick auf den als Hurenbock bekannten örtlichen Fleischer frei. Da der alternde Weiberheld aufgrund seines, gerade in Notzeiten, interessanten Berufes als Einziger des Dorfes selbst so viel Speck hatte ansetzen können, dass er reif für seine eigene Schlachtbank war, bewegte er sich recht ungelenk. So bemühte sich der unansehnliche, aber erfolgreiche Meister seiner Zunft zunächst erfolglos, hastig die Beingewandung hochzuziehen, um seine – angesichts der überaus peinlichen Situation – schnell dahingeschwundene Männlichkeit zu verstecken, obwohl diese selbst in voller Pracht nicht über den feisten Wanst hinausgereicht haben dürfte. Dabei stolperte er über die eigenen Füße und fiel auf den Ehemann der jungen Frau, die offensichtlich eine billig zu bekommende ›Hellerhure‹ war und jetzt – ungeachtet dessen, dass ihre wackelnden Brüste immer noch jeglicher Verhüllung entbehrten – damit begann, ihre Gewandung ›unten herum‹ zurechtzuzupfen. Aufgrund der bewundernden Männerblicke hatte sie es nicht eilig damit, sich auch oben herum zu bedecken. Bestimmt würde sich der eine oder andere Ehemann jetzt Appetit holen und es dem kahlköpfigen Fleischer an einem der nächsten Markttage nachmachen.
    Nach der ersten Fassungslosigkeit wussten jetzt alle, was sich die Männer schon seit geraumer Zeit an den Stammtischen zutuschelten: Das rassige Weib des alten Knopfhändlers hatte eine zusätzliche Einnahmequelle, indem sie an den Markttagen zahlungskräftiger Kundschaft für kleines Geld ihren strammen Körper anbot, während ihr verhutzelter Mann vorne Hornknöpfe verscherbelte.
    »Du solltest dir das Gehörn auf den Kopf setzen, anstatt Knöpfe daraus zu machen«, rief einer der Umstehenden. Er löste dadurch ebenso allgemeines Gelächter aus wie eine Frau, die, mahnend auf den flüchtenden Fleischer zeigend, rief: »Seht doch! Dort rennt ein Mann, der nicht nur Sauen schlachtet, sondern auch noch aussieht wie ein Schwein und sogar selber eines ist!«
     
    *
     
    Von alledem bekam Konstanze nicht viel mit. Sie hörte zwar den Krach und das Gelächter, konzentrierte sich aber immer noch auf den Schuhflicker. Sie hatte das Muster direkt neben den neuen Schuh gestellt und begutachtete das Werk des Lederers nun schon ein ganzes Weilchen mit kritischem Blick, was den Meister in unruhiges Erstaunen versetzte.
    »Habe ich keine ordentliche Arbeit abgeliefert?«, fragte er verunsichert.
    Konstanze drehte das Teil nach allen Seiten und stellte es immer wieder neben das Muster, während sich ihre Miene zu verfinstern schien und sie zunehmend mit dem Kopf zu schütteln begann. »Nein, guter Mann. Dieser Schuh gefällt mir nicht. Das Leder ist nicht identisch und er ist etwas zu klein geraten. Ich nehme ihn nicht!« Mit einem wütenden Gesichtsausdruck knallte sie das kunstvoll zusammengenähte Lederteil auf den Tresen und wandte sich ab.
    »Gottverdammtes Weib«, rutschte es dem Schuhflicker, ungeachtet der honorigen Kundschaft, ungewollt heraus. »Entschuldigt, edle Frau, aber ich habe mich redlich bemüht, einen Schuh herzustellen, der wie ein Ei dem anderen gleicht«, versuchte er, das zuvor Gesagte zu relativieren.
    Als Konstanze keine Reaktion zeigte, wusste er nicht mehr, wie er sich verhalten sollte, zog es aber vor, sich nicht zu weit hinauszulehnen und stattdessen seine Kundin an deren Ehre zu packen: »Und Ihr haltet es für
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher