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Der Peststurm

Der Peststurm

Titel: Der Peststurm
Autoren: Bernhard Wucherer
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bildete sie sich aber nicht allzu viel ein. Sie liebte zwar die schönen Künste und schätzte es, sich in einer der seltenen Gesellschaften, die in besseren Zeiten im Immenstädter Schloss gegeben worden waren, bewegen zu dürfen – aber deswegen etwas Besseres sein? Nein! Nicht unbedingt. Allerdings erfüllte sie ein Attribut, das man Höhergestellten gerne zuordnete: Wenn ihr etwas nicht passte, konnte sie – im Gegensatz zu ihrem Mann – aufbrausen wie eine wildgewordene Furie. Dies bekamen dann meist ihr Gesinde, Lieferanten … oder ihre Familienmitglieder zu spüren. In der Öffentlichkeit zeigte sie sich stets zurückhaltend. Heute war sie mit ihren beiden jüngeren Söhnen Lodewig und Diederich vom Schloss heruntergekommen, um sich mit frischen Waren einzudecken. Obwohl sie zwar mit Entsetzen gehört hatte, Ruland Berging, der ehemalige Totengräber, sei wieder aufgetaucht, und sie den 18-jährigen Lodewig gebeten hatte, auf den um neun Jahre jüngeren Bruder Diederich ganz besonders zu achten und ihn nicht aus den Augen zu lassen, war sie in erträglicher Sorge. Von ihrem mittleren Sohn wusste sie, dass er selbst auf sich achten konnte und sowieso gleich zum Marktstand der Bombergs gehen würde, um dort seine geliebte Sarah, Judiths bildhübsche Tochter, zu treffen. Dennoch machte sie sich auch Gedanken über Lodewig. So, wie er versprechen musste, auf seinen jüngeren Bruder zu achten, musste dieser ihr hoch und heilig zusichern, nicht von ihrer Seite zu weichen, während Lodewig bei Sarah und die Mutter mit ihm allein sein würde. Obwohl Konstanze klar war, dass mit der Rückkehr des Marktes endlich wieder etwas im Dorf los war und sich alle darauf gefreut hatten, wäre es ihr aus der Sorge heraus, dass ihm etwas geschehen könnte, am liebsten gewesen, ihren Jüngsten zu Hause zu lassen.
    Als sie Diederich einen diesbezüglichen Vorschlag unterbreitet hatte, war der Bub tödlich beleidigt gewesen und hatte so gotterbärmlich geheult, dass sie ihren Vorschlag nur allzu gerne zurückgenommen hatte.
    Jetzt standen sie vor Papas Tischchen und orientierten sich von dort aus.
    »Hast du den Schuhflicker schon gesehen?«, fragte Konstanze ihren Mann, während ihr Blick neugierig über das beginnende hektische Treiben schweifte.
    »Nein! Der scheint immer noch Angst vor einer tödlichen Mistgabel zu haben, wie sie der Wachmann beim letzten Markt in seinem Brustkorb gehabt hat. Er kommt wohl nicht!« Da ein gräflicher Soldat, den Oberamtmann Speen mit einem Kameraden zur Sicherheit des Markttreibens von Immenstadt nach Staufen entsandt hatte, mit diesem bäuerlichen Arbeitsgerät erstochen worden war und die Sache nicht hatte aufgeklärt werden können, ging bei den Händlern immer noch die Angst um, dass es ihnen genauso ergehen könnte.
    »Oder er fürchtet sich vor der Pest«, ergänzte Konstanze, nachdem sie den Lederer nirgends entdecken konnte. Da sich noch nicht überall herumgesprochen hatte, dass es sich im vergangenen Herbst nicht um die Pestilenz, sondern ›nur‹ um eine raffinierte Mordserie gehandelt hatte, mieden immer noch viele auswärtige Händler den früher belebten Staufner Marktplatz, bei dem es in besseren Zeiten sogar einen Aufzug, ein Kindertheater und andere Kurzweil gegeben hatte.
    »Ich bin dann weg«, informierte Lodewig seine Mutter und übergab ihr hastig Diederichs Hand, nachdem er den Stand von Judith Bomberg gesichtet hatte.
    War ja klar, dachte sich Konstanze und schlenderte mit Diederich ebenfalls zu Judith, um ihr einen Korb voller Eier und zwei lebende Hühner abzukaufen. Um Sarah und Lodewig nicht zu brüskieren, ließ sie sich damit so viel Zeit, bis die jungen Leute händchenhaltend abgezogen waren.
    Während sich die beiden Freundinnen nach einer herzlichen Begrüßung angeregt unterhielten, rief die Frau des Kastellans plötzlich: »Da ist er ja!«
    »Wer?«, fragte die verdutzt um sich blickende Judith.
    »Der Schuhflicker! Da! Direkt neben dem Verkaufswagen des Bunten Jakob!«
    Die Jüdin war verwundert. »Na und? Das ist doch nichts Neues. Den kennen wir doch.«
    »Aber Judith! Ich habe dir doch davon erzählt, dass Lodewig und Diederich im letzten September auf dem Kirchhof ein unheimliches Gespräch zwischen Ruland Berging und einem Unbekannten mitgehört haben und deswegen vor dem Totengräber geflohen sind. Lodewig hat dabei einen Schuh verloren, woraufhin ich das verbliebene Teil als Muster zum Schuhflicker gebracht und ihn gebeten habe, einen dazu passenden
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