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Der Peststurm

Der Peststurm

Titel: Der Peststurm
Autoren: Bernhard Wucherer
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neuen zu machen. Jetzt bin ich gespannt, ob er ihn tatsächlich dabei hat … Aber ich lass ihn erst mal in Ruhe seinen Stand aufbauen.«
    Während die beiden so vor sich hin plauderten, füllte sich der Marktplatz im unteren Flecken zunehmend mit Menschen, die nach und nach aus allen Richtungen herbeiströmten. Darunter befanden sich auch der Kronenwirt Mattheiß und Ruland Berging, der seine alte Arbeit wieder aufgenommen hatte weil er jetzt wieder zum Totengräber des Dorfes bestallt worden war und an dessen Anwesenheit und Anblick sich die Staufner zwar schon längst wieder gewöhnt hatten, aber immer noch zusammenzuckten und sich heimlich bekreuzigten, wenn sie ihm begegneten. Allerdings ging die Angst der Staufner nicht so weit zu riskieren, unwissend zu bleiben. Seit dem Tag, an dem der Totengräber wieder in Staufen war, musste er sich viele spekulative Fragen, die er mit den haarsträubendsten Lügen beantwortete, gefallen lassen. Seine mysteriöse Abwesenheit wegen des gemeinen Mordes an Otward Opser, dem älteren der beiden Blaufärbersöhne, von dem immer noch niemand wusste, wer ihn umgebracht hatte, begründete er stets mit der Genesung lebensgefährlicher Verletzungen am ganzen Körper. Außerdem hatte er sich eine glaubwürdige Ausrede für sein verletztes Auge einfallen lassen: Er behauptete, dass er sich diese Wunde in der gut einen halben Tagesritt enfernten Stiftsstadt Kempten eingehandelt habe, als er dort war, um sich beim städtischen Leichenbestatter über die verschiedenen Möglichkeiten der Beerdigungen zu informieren.
    Dass er noch niemals in Kempten gewesen war und ihn moderne Bestattungsformen nicht interessierten, wenn es diese denn überhaupt geben sollte, konnte in Staufen ja niemand wissen, denn außer dem Kastellan und dem Propst war kein einziger Staufner jemals in der pulsierenden fürstäbtlichen Stadt an der Iller gewesen. Jedenfalls begründete er sein verbundenes Auge damit, dass er in Kempten einen kleinen Jungen – der wohl etwas getan hatte, was er nicht hätte tun dürfen – selbstlos vor dessen Verfolgern hatte schützen wollen und dafür derart verprügelt worden sei, dass er mit Blessuren am ganzen Körper in das dortige Heilige-Geist-Spital eingeliefert worden war. Die Geschichte mit dem kleinen Jungen war ihm spontan eingefallen, weil ihm seit seiner geheimen Besprechung mit dem Medicus auf dem Kirchhof Knaben nicht mehr aus dem Kopf gingen. Zu seinem Glück hatte er schon einige Tage nach seiner Rückkehr die willkommene Gelegenheit erhalten, im Einvernehmen mit dem Propst und der widerwillig gegebenen Zustimmung des Kastellans, seine Arbeit als Leichenbestatter erneut aufzunehmen. Und nur dies zählte, zumindest im Moment.
    Da es der Propst und der Kastellan für ratsam gehalten hatten, Fabio, den ehemaligen Helfer des Totengräbers, noch eine Zeit lang im Schloss zu behalten, hätte für die Bestattung eines wenige Tage nach der Hinrichtung des verruchten Arztes Heinrich Schwartz an Wundbrand verstorbenen Knaben niemand zur Verfügung gestanden. So hatte ihm keiner die Wiederaufnahme seiner alten Arbeit streitig gemacht. Der Totengräber geriet lediglich in Form von Marktgeschwätz, offiziell aber nie, in den Verdacht, mit dem Medicus gemeinsame Sache gemacht zu haben, weswegen er diesbezüglich auch von niemandem belästigt wurde. Wenn er tatsächlich damit etwas zu tun gehabt haben sollte, ist es jetzt eh zu spät, ihm dies noch nachzuweisen, dachten selbst diejenigen, die ihm noch nie über den Weg getraut hatten. Nur der Kastellan und seine Frau waren seit dem Tod der Blaufärbersöhne nach wie vor misstrauisch.
    Die letzten Reste des Einzigen, der etwas dazu hätte sagen können, zerlegten die Krähen in schnabelgerechte Einzelteile. Das wusste auch Ulrich Dreyling von Wagrain, der sich in seiner Eigenschaft als inzwischen von Amts wegen eingesetzter Ortsvorsteher jetzt wohl oder übel zähneknirschend mit dem Totengräber würde arrangieren müssen – auch wenn dies seiner Frau ganz und gar nicht passen mochte.
     
    *
     
    Bei strahlendem Wetter entwickelte sich schnell ein munteres Treiben – fast so wie in alten Zeiten. Es wurde gekauft, verkauft und an allen Ständen gefeilscht, was der Handschlag hergab, obwohl bei Weitem nicht so viel Münzen in Umlauf waren, wie es in früheren Zeiten der Fall gewesen war, weswegen viele Staufner erst zum Ortsvorsteher gingen, um sich das Geld ihrer ermordeten Verwandten zurückzahlen zu lassen. Kein Wunder also,
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