Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay
Autoren: Vikram Chandra
Vom Netzwerk:
unmöglichen Winkel über die Leinwand krängte, unglaublich schneidig und weltmännisch. In seiner lässigen Vollkommenheit lag ein seltsamer Trost, die Sehnsucht nach einer Einfachheit, die Sartaj nie gekannt hatte. Er hatte Katekar eher für einen begeisterten Amithab-Bachchan-Anhänger gehalten, einen Fan der Muskelpakete Sunil Shetty 607 oder Akshay Kumar, die überdimensional von ihren Plakaten herabschauten wie Exemplare einer gigantischen, aufgeblähten neuen Spezies. »Welcher Dev-Anand-Film gefällt Ihnen am besten, Katekar?«
    Katekar legte lächelnd den Kopf schräg, die perfekte Dev-Anand-Imitation. »Na ja, Sir, Guide 247 , Sir. Natürlich.«
    Sartaj nickte. »Natürlich.« Guide war ein Film in grellen Sechzigerjahrefarben, in denen man Devs tiefe, schwärmerische Liebe zu Waheeda 666 und die Bitterkeit seines tragischen Endes so richtig auskosten konnte. Sartaj hatte die lange Todesszene immer kaum ertragen, die Einsamkeit des Helden und seine verblühte Liebe. Doch nun saß Katekar mit seinen überraschenden Dev-Sympathien neben ihm, und Sartaj lachte und sang: »Gata rahe mera dil ... 215 « Katekar wippte mit dem Kopf, und als Sartaj nach »Tu hi meri manzil« nicht mehr weiterwußte, sang er die ganze nächste Strophe bis zum Antra 023 . Sie grinsten einander an.
    »Solche Filme werden heute gar nicht mehr gemacht«, sagte Sartaj.
    »Nein, Sir.« Die Straße war bis zur Kreuzung am Karanth Chowk 124 frei. Sie beschleunigten und fuhren an Gruppen von Wohnblöcken vorbei, die sich rechts hinter einer langen grauen Mauer versteckten. Links öffneten sich die verwahrlosten Hütten eines Basti direkt auf die Straße. An der Ampel kam Katekar nach rasanter Fahrt geschmeidig zum Stehen.
    »Es gibt Gerüchte über Parulkar-saab«, sagte er und strich mit dem Zeigefinger über die Innenseite des Lenkrads.
    »Was für Gerüchte?«
    »Daß er krank ist und daran denkt, in den Ruhestand zu gehen.«
    »Was hat er denn?«
    »Das Herz.«
    Ein gutes Gerücht, dachte Sartaj, verglichen mit anderen Gerüchten. Vielleicht hatte Parulkar es selbst in die Welt gesetzt, gemäß dem Grundprinzip, daß ein Geheimnis unmöglich zu hüten war, daß über kurz oder lang jeder irgend etwas wissen würde und es besser war, die wilden Spekulationen, zu denen es kommen würde, zu steuern, sie zu formen und zum eigenen Vorteil zu nutzen.
    »Daß er geht, davon weiß ich nichts«, sagte Sartaj, »aber er prüft seine Möglichkeiten.«
    »Für sein Herz?«
    »So ähnlich.«
    Katekar nickte. Er schien nicht allzu besorgt. Sartaj wußte, daß er nicht gerade ein Fan von Parulkar-saab war, obwohl er ihm, Sartaj, gegenüber nie schlecht über ihn geredet hätte. Nur einmal hatte er gesagt, er traue Parulkar nicht. Er hatte das nicht begründet, und Sartaj hatte seine Zweifel einem hartnäckigen Antibrahmanismus zugeschrieben. Katekar traute den Brahmanen 096 nicht, und die Marathen mochte er wegen ihrer Gier und ihrer Kshatriya-Arroganz 349 nicht. Sartaj begriff, daß Katekars Vorurteile aus seiner OBC-Sicht 459 durchaus gerechtfertigt waren. Schauen Sie sich doch die Geschichte an, hatte er mehr als einmal gesagt. Sartaj hatte nie bestritten, daß die niederen Kasten jahrhundertelang grausam behandelt worden waren. Er diskutierte mit Katekar über die Kastenpolitik der Vergangenheit und der Gegenwart, zog die Schlußfolgerungen seines Kollegen jedoch in Zweifel. Solche Gespräche waren stets freundlich verlaufen, und Sartaj war froh, daß Katekars Geschichte nicht unmittelbar etwas mit hochnäsigen Jatt Sikhs 287 595 zu tun hatte. Sie kannten sich schon sehr lange, und Sartaj konnte sich auf ihn verlassen.
    Sie bogen in einen schmalen Parkplatz vor dem Restaurant Sindur 596 ein, »Fine Indian and Continental Dining«. Sartaj nahm eine weiße Air-India-Tasche vom Rücksitz. Er zwängte sich an einem Peugeot und dann an einem Betelverkäufer am Eingang des Restaurants vorbei und ließ einer Reihe leitender Angestellter in weißen Hemden den Vortritt. Schräg gegenüber auf der anderen Straßenseite sah er ein großes weißes Schild, auf dem in roten Lettern »Delite Dance Bar and Restaurant« stand. Sein schweißnasses Hemd klebte ihm von den Schultern bis zum Gürtel hinab am Rücken. Das Sindur war wie ein Hochzeits-Shamiana 581 dekoriert, bis hin zu den Instrumenten der Kapelle hinter dem Kassenschalter und der von Ornamenten umrahmten Speisekarte. Katekar nahm in einer Vierernische Sartaj gegenüber Platz, und beide senkten unter
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher