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Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay
Autoren: Vikram Chandra
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dem kühlen Luftstrom des Deckenventilators dankbar den Kopf. Ein Kellner brachte zwei Pepsi, und sie tranken gierig, doch noch ehe ihre Gläser halb leer waren, kam Shambhu Shetty an ihren Tisch. Proper wie immer in seinen Bluejeans und dem blauen Jeanshemd, glitt er neben Sartaj auf die Bank.
    »Hallo, Saab.«
    »Alles in Ordnung, Shambhu?«
    »Ja, Saab.« Shambhu gab beiden die Hand. Wie immer beneidete Sartaj ihn einen Moment lang um seinen eisernen Griff, seine straffen Schultern und sein glattes vierundzwanzigjähriges Gesicht. Letztes Jahr hatte er sich einmal zurückgelehnt, sein Hemd hochgezogen und ihnen seinen gebräunten Bauch gezeigt, die kleinen Muskeldreiecke, die bis zur Brust hinaufreichten. Der Kellner brachte Shambhu frischen Ananassaft. Getränke mit Kohlensäure oder Zucker lehnte er ab.
    »Waren Sie wieder bergsteigen, Shambhu?« fragte Katekar.
    »Anfang nächster Woche gehe ich, mein Freund. Auf den Pindari-Gletscher.« Zwischen Sartaj und Shambhu lag ein dicker brauner Umschlag auf dem roten Plastiksitz. Sartaj zog ihn auf seinen Schoß und schaute hinein. Er enthielt die üblichen Hundert-Rupien-Scheine, auf der Bank mit Gummiband zu zehn kleinen Zehntausend-Rupien-Stapeln gebündelt.
    »Den Pindari-Gletscher?« fragte Katekar.
    »Kommen Sie nie aus Bombay raus, Yaar 667 ?« fragte Shambhu erstaunt. »Der liegt im Himalaja. Oberhalb von Nainital.«
    »Ah. Und wie lange bleiben Sie?«
    »Zehn Tage. Keine Angst, bis zum nächsten Mal bin ich wieder da.«
    Sartaj holte die Air-India-Tasche zwischen seinen Füßen hervor, zog den Reißverschluß auf und steckte den Umschlag hinein. Das Revier und die Delite Dance Bar hatten ein monatliches Abkommen. Shambhu und er vertraten die beiden Stellen nur, der eine zahlte, der andere kassierte. Es war nichts Persönliches dabei, sie trafen sich seit einem Jahr und einigen Monaten, seit Shambhu das Delite übernommen hatte, und sie mochten sich. Shambhu war ein guter Kerl, effizient, zurückhaltend und äußerst fit. Er versuchte immer wieder, Katekar zum Bergsteigen zu überreden.
    »Das macht den Kopf frei«, sagte er. »Was meinen Sie, warum die großen Yogis 676 ihre Tapasya 620 immer hoch in den Bergen gemacht haben? Wegen der Luft. Sie fördert die Meditation und bringt Frieden. Sie tut gut.«
    Katekar hob sein leeres Pepsiglas. »Meine Tapasya ist hier, Bruder. Nur hier finde ich jeden Abend Erleuchtung.«
    Shambhu lachte und stieß mit Katekar an. »Verbrennt uns nicht mit dem Feuer Eurer Askese, o Meister. Sonst muß ich Euch ein paar Apsaras 025 schicken, auf daß sie Euch ablenken.«
    Die beiden kicherten, und Sartaj mußte lächeln bei der Vorstellung, wie Katekar mit gekreuzten Beinen auf einem Hirschfell saß, schier berstend vor angestauter Energie. Er zog den Reißverschluß der Tasche wieder zu und stieß Shambhu mit dem Ellbogen an. »Hören Sie, Shambhu-rishi 533 «, sagte er. »Wir müssen eine Razzia machen.«
    »Was, schon wieder? Seit der letzten sind doch noch keine fünf Wochen vergangen.«
    »Sieben ungefähr, glaube ich. Fast zwei Monate. Aber jetzt haben wir eine neue Regierung, Shambhu, da hat sich einiges geändert.« In der Tat. Die Rakshaks 518 stellten die neue Regierung im Land. Die stramme rechtsgerichtete Organisation von einst, die immer stolz auf ihre disziplinierten, aufstrebenden Kader gewesen war, versuchte sich nun zu einer Partei von Staatsmännern zu mausern. Als Minister und Staatssekretäre hatten sie ihren blindwütigen Nationalismus gemäßigt, aber ihren Kampf gegen kulturellen Niedergang und westliche Korruption würden sie nicht aufgeben. »Sie haben versprochen, die Stadt zu reformieren.«
    »Ja«, sagte Shambhu. »Bipin Bhonsle, der Schweinehund. Diese ganzen Reden, seit er Minister ist, daß er mit der Korruption aufräumen will. Und was sollen die markigen Sprüche, mit denen er neuerdings um sich schmeißt, von wegen man müßte die indische Kultur schützen? Sind wir denn keine Inder? Schützen wir unsere Kultur nicht? Führen die Mädchen denn keine indischen Tänze auf?«
    Genau das taten sie, drehten sich unter Diskolampen zu Filmi-Musik, züchtig in Choli 123 und Sari 559 , und die Männer hielten Fächer aus Zwanzig- und Fünfzig-Rupien-Scheinen hoch, von denen sie sich bedienen konnten. Aber die Delite Dance Bar als einen Tempel der Kultur hinzustellen, das war denn doch eine Kühnheit, die Sartaj und Katekar die Sprache verschlug. Sie sagten beide gleichzeitig »Shambhu«, und Shambhu hob die
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