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Der neutrale Planet

Der neutrale Planet

Titel: Der neutrale Planet
Autoren: Robert Silverberg
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der Organspendeverpflichtungs-Gesetzgebung. Die Alten können es sich nicht leisten, kostbare junge Körper auf dem Schlachtfeld zu vergeuden. Deshalb tragen Roboter unsere territorialen Streitigkeiten aus, rammen sich klirrend mit den Schädeln, legen Minen und erschnüffeln die Minen des Gegners, graben Tunnel unter seinen Abschirmungen, und so weiter, und so weiter. Dazu natürlich das quasi-militärische Vorgehen – Wirtschaftssanktionen, Blockade von dritten Mächten, Propagandasendungen von gnadenlosen Raumsatelliten, die Originalsendungen einfach überlagern, und was dergleichen mehr ist. Ein raffinierterer Krieg als diejenigen, die sie früher geführt haben: niemand stirbt dabei. Trotzdem zehrt er an den nationalen Ressourcen. In diesem Jahr steigen die Steuern erneut, das fünfte oder sechste Jahr hintereinander, und eben hat man einen besonderen Friedenszuschlag auf alle metallhaltigen Waren erhoben, der Kupferknappheit wegen. Es gab einmal eine Zeit, als wir hoffen konnten, daß unsere verrückten alten Führer wegsterben oder sich wenigstens aus gesundheitlichen Gründen zurückziehen würden, fortwankend in ihre Landhäuser mit Magengeschwüren oder Gürtelrose oder Krätze, damit neue junge Friedensmacher nachrücken konnten. Aber jetzt machen sie einfach endlos weiter, unsterblich und wahnsinnig, unsere Senatoren, unsere Kabinettsmitglieder, unsere Generale, unsere Planer. Und auch ihr Krieg geht immer weiter, ihr absurder, unbegreiflicher, diabolischer, in sich selbst Befriedigung findender Krieg.
    Ich kenne Menschen in meinem Alter oder wenig älter, die Asyl in Belgien oder Schweden oder Paraguay oder einem der anderen Länder gesucht haben, wo Gesetze über die körperliche Unversehrtheit erlassen worden sind. Es gibt etwa zwanzig solche Länder, die Hälfte davon die progressivsten Länder der Welt, die andere Hälfte die reaktionärsten. Aber was hat die Flucht für einen Sinn? Ich will nicht im Exil leben. Ich bleibe hier und kämpfe.
    Natürlich verlangen sie von einem Spendepflichtigen nicht, daß er sein Herz oder ein anderes lebenswichtiges Organ, etwa die Medulla oblongata, hergibt. Wir sind noch nicht in jenem Stadium politischer Erleuchtung, in dem der Staat sich für befugt hält, eine tödliche Verpflichtung gesetzlich einzuführen. Nieren und Lungenflügel, die paarweise vorhandenen, die entbehrlichen Organe, sind bis jetzt das Hauptziel. Wenn man die Geschichte der Zwangsaushebung im Laufe der Zeiten aber verfolgt, sieht man, daß sie immer in einer Kurve verläuft, die von vernünftiger Notwendigkeit zu absolutem Irrsinn führt. Reich ihnen eine Fingerspitze, und sie nehmen einen Arm. Reich ihnen zwei Zentimeter Darm, und sie nehmen dir die ganzen Gedärme. In weiteren fünfzig Jahren werden sie Herzen und Mägen und vielleicht sogar Gehirne verlangen, das wird man sehen; sobald sie die Technologie der Gehirntransplantation beherrschen, wird bei keinem mehr der Schädel sicher sein. Es wird wieder Menschenopfer geben. Der einzige Unterschied zwischen uns und den Azteken liegt in der Methode: wir haben die Narkose, wir haben Antisepsis und Asepsis, wir verwenden Skalpelle statt Obsidianklingen, um die Herzen unserer Opfer herauszuschneiden.
    Beruht mein Widerstand gegen die Zwangsverpflichtung auf einem eingewurzelten abstrakten Abscheu vor der Tyrannei in allen Formen, oder nur auf dem Wunsch, meinen Körper intakt zu erhalten? Kann es vielleicht beides sein? Brauche ich überhaupt eine idealistische Begründung? Besitze ich nicht ein unveräußerliches Recht, mein Leben mit meinen eigenen Nieren zu verbringen?
    Das Gesetz wurde von einer Administration alter Männer durchgesetzt. Man darf sicher sein, daß alle Gesetze, die sich auf das Wohlergehen der Jungen beziehen, das Werk wankender, moribunder Greise ist, die an Angina pectoris, Arteriosklerose oder Vorfall des Trichterfortsatzes leiden. Das Problem war dieses: Es starben nicht genug junge Leute an Autounfällen, erfolgreichen Selbstmordversuchen, Fehlberechnungen bei Sprungturmübungen, elektrischen Schlägen und Footballverletzungen; deshalb gab es einen Mangel an verpflanzbaren Organen. Ein Versuch, die Todesstrafe wieder einzuführen, um eine laufende Versorgung mit staatlich kontrollierten Leichen sicherzustellen, scheiterte vor den Gerichten. Freiwillige Organspenderprogramme waren nicht sehr wirkungsvoll, weil die meisten Freiwilligen Kriminelle waren, die unterschrieben, um vorzeitig aus der Strafanstalt entlassen zu
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