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Der neutrale Planet

Der neutrale Planet

Titel: Der neutrale Planet
Autoren: Robert Silverberg
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werden: ein Lungenflügel verminderte die Strafe um fünf Jahre, eine Niere um drei Jahre, und so weiter. Der Exodus von Sträflingen unter dieser Klausel war bei den bürgerlichen Wählern nicht sehr beliebt. Inzwischen bestand ein dringender und wachsender Bedarf an Organen; eine große Zahl bedeutender Senioren hätte wirklich sterben müssen, wenn nicht sehr schnell etwas geschah. Und so peitschte eine Koalition von Senatoren aus allen vier Parteien das Organspende-Verpflichtungsgesetz durch die zweite Kammer, obwohl ein paar zur Jugend hin orientierte Mitglieder mit Filibusterreden drohten. Im Repräsentantenhaus ging es viel leichter, weil im Haus niemand besonders auf den Text eines zur Abstimmung vorgelegten Gesetzes achtet, und man hatte verlauten lassen, wenn es durchgehe, könne jeder über fünfundsechzig, der auch nur über ein Mindestmaß an politischem Einfluß verfüge, damit rechnen, zwanzig oder dreißig Jahre länger zu leben, was für einen Abgeordneten die Aussicht auf zehn bis fünfzehn weitere Amtsperioden bedeutete. Natürlich ging man vor den Gerichten gegen das Gesetz an, aber was hatte das für einen Zweck? Das Durchschnittsalter der elf Richter am Obersten Bundesgericht beträgt siebenundachtzig Jahre. Sie sind menschlich und sterblich. Sie brauchen unsere Organe. Wenn sie das Gesetz jetzt für ungültig erklären, unterschreiben sie ihr eigenes Todesurteil.
    Eineinhalb Jahre lang war ich Vorsitzender der Anti-Verpflichtungskampagne in unserer Universität. Wir waren die sechste oder siebte Ortsgruppe der Liga für Körperliche Unversehrtheit, die in diesem Land aufgebaut wurde, und echte Aktivisten. In der Hauptsache marschierten wir vor den Musterungsstellen auf, mit Transparenten, auf denen etwa stand: ›Nieren Power‹ oder: ›Eines Menschen Körper ist seine Burg‹ oder: ›Die Macht, Organe einzuziehen, ist die Macht, Leben zu zerstören.‹
    Zu Gewalttätigkeiten, etwa Organtransplantationszentren zu sprengen oder Kühllaster zu überfallen, ließen wir uns jedoch nie hinreißen. Friedliche Agitation, das war unser Motto. Als ein paar von unseren Mitgliedern uns zu gewaltsameren Aktionen drängen wollten, hielt ich aus dem Stegreif eine zweistündige Rede, die zur Mäßigung aufrief. Natürlich wurde ich, als ich dann an die Reihe kam, sofort aufgerufen.
    »Ich kann Ihre Abwehr der Einziehung gegenüber verstehen«, sagte mein College-Berater. »Es ist durchaus normal, daß man bei dem Gedanken, wichtige Organe seines Körpers abgeben zu müssen, empfindlich reagiert. Sie sollten aber die ebenso großen Vorteile auch nicht übersehen. Sobald Sie ein Organ gespendet haben, erhalten Sie die Einstufung in Klasse 6 A, Bevorzugter Empfänger, und Sie bleiben für alle Zeiten auf der 6 A-Liste. Es ist Ihnen doch klar, was das heißt. Wenn Sie jemals selbst eine Verpflanzung nötig haben sollten, steht sie Ihnen automatisch zu, selbst wenn Ihre anderen persönlichen und beruflichen Qualifikationen Sie nicht auf die optimale Stufe heben. Angenommen, Ihre beruflichen Pläne lassen sich nicht verwirklichen, und Sie werden, sagen wir, Arbeiter. Normalerweise hätten Sie nicht einmal Anspruch auf einen ersten Blick, wenn sich ein Herzleiden einstellt, aber Ihr Status als Bevorzugter Empfänger würde Sie retten. Sie hätten einen neuen Anspruch auf Leben, mein Junge.«
    Ich verwies ihn auf die innere Unlogik dieser Behauptung. Sie besteht darin: Mit der Zunahme der Verpflichteten werden sie schließlich eine Mehrheit oder gar die Gesamtheit der Bevölkerung umfassen, und schließlich wird jeder Bevorzugter Empfänger in Stufe 6 A sein, weil er Organe gespendet hat, und der Begriff ›Bevorzugter Empfänger‹ wird keinen Sinn mehr haben. Ein Mangel an verpflanzbaren Organen müßte sich ergeben, wenn jeder Spender seinen Anspruch auf ein Transplantat erhebt, sobald ihn seine Gesundheit im Stich läßt, und mit der Zeit würde man die Bevorzugten Empfänger nach persönlicher und beruflicher Leistung einordnen müssen, um innerhalb der Stufe 6 A zu einer Rangordnung zu kommen, und wir wären genau wieder dort, wo wir jetzt sind.
    Ich ging also pünktlich zum Transplantations-Amt, um mich untersuchen zu lassen. Ein paar meiner Freunde meinten, ich beginge einen taktischen Fehler, weil ich mich überhaupt meldete; wenn du dich weigerst, sagten sie, dann weigere dich in jedem Punkt. Laß dich zur Untersuchung hinschleppen. Im rein idealistischen – und ideologischen – Sinn haben sie wohl
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