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Der neunte Ton: Gedanken eines Getriebenen (German Edition)

Der neunte Ton: Gedanken eines Getriebenen (German Edition)

Titel: Der neunte Ton: Gedanken eines Getriebenen (German Edition)
Autoren: Peter Maffay
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Schließlich halten wir auch alle in der Stiftung den Kopf dafür hin. Und außerdem sind wir es den Spendern schuldig.

Bild 6.: Auf der therapeutischen Finca Ca’n Llompart in der Nähe von Pollença. Hier, mitten in der Natur, können traumatisierte Kinder in einem geschützten Raum eine Auszeit von ihrem schwierigen Alltag nehmen.

Ob 5 oder 500.000 Euro – jeder Betrag muss entsprechend verantwortungsvoll behandelt werden. Natürlich hängt die Stiftung sehr stark an meiner Person. Ich bin die Galionsfigur und solange ich gesund bin, habe ich auch kein Problem damit, diese Rolle zu spielen. Ich weiß aber auch, wie abhängig und verletzbar unsere Organisation dadurch ist. Auf lange Sicht muss es unser Ziel sein, die Stiftung von dieser Abhängigkeit zu befreien und auf selbsterhaltende Strukturen zu stellen.
    Das Ferienhaus unserer Stiftung liegt im Norden Mallorcas unweit unseres Wohnhauses. Die Finca Ca’n Llompart bietet therapeutische Ferienaufenthalte für jeweils 12 bis 16 Kinder mit ihren Betreuerinnen und Betreuern. Jahr für Jahr nutzen in der Zwischenzeit rund 400 Kinder diesen Ort, um Kraft zu tanken. Sie machen Ferien vom Ich, lassen die Seele baumeln.
    Es sind Kinder und Jugendliche, die mit ihren jungen Biografien auf schreckliche Ereignisse zurückblicken. Teenager, die mehrfach vergewaltigt wurden, andere Formen von Gewalt und Drogenprobleme kennen, körperlich oder geistig versehrt sind. Viele wurden ihrer Kindheit beraubt. Es sind »vergessene« Kinder, denen wir die Hand reichen müssen, damit sie wieder Teil unserer Gesellschaft werden, damit sie sich wieder in die Gesellschaft einbringen. Wir dürfen nicht vergessen: Sie wurden durch andere, meist erwachsene Mitglieder dieser Gesellschaft verletzt.
    Mallorca ist für ihre Seele eine Tankstelle. Sie können Kraft tanken und viele von ihnen halten zum ersten Mal den großen Zeh ins Mittelmeer. Das Klima und die Kraft der Natur begeistern fast alle Besucher.
    Im Laufe der letzten zwölf Jahre waren rund 8.000 Kinder in unseren Einrichtungen zu Gast. Nicht nur auf Mallorca, sondern auch in den Einrichtungen am Starnberger See oder in Rumänien. Das ist eine gigantische Zahl. Diese Kinder sind auch Multiplikatoren: der eine oder andere übernimmt vielleicht einen Teil unserer Haltung, geht zurück und wird zum Parlamentär.
    Immer wieder höre ich Kritik, ob es Sinn macht, Kinder für zehn oder 14 Tage aus ihrem Rhythmus zu reißen und ihnen einmalig das Privileg eines solchen Aufenthalts zuteil werden zu lassen. Kritik, die mir in der Zwischenzeit ehrlich gesagt auf die Nerven geht. Zynischer geht’s wohl nicht. Ich unterstelle diesen Kritikern, dass sie auch zu folgendem Satz fähig sind: »Der hat schon immer gehungert, es macht ihm jetzt nichts aus, auch weiter zu hungern.« Mit Verlaub: Wer sich so äußert, ist nicht ganz dicht. Klar ist allerdings, dass das, was wir tun, nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist.
    Vor einigen Jahren traf ich im Rahmen einer Konferenz in Bochum den südamerikanischen Bischof und Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu. Ich erzählte ihm von unserer Arbeit. Tutu nahm meine Hand und sagte: »Peter, es sind nicht nur die berühmten Tropfen auf den heißen Stein. So kannst du das nicht sehen. Viele Tropfen zusammen ergeben einen reißenden Fluss und dieser wird eines Tages die Ungerechtigkeit wegspülen.« Tutu hat recht. Diese Debatte hört wohl nie auf, aber ich habe erkannt, dass man sich von ihr nicht aufhalten lassen darf. Viel wichtiger ist es, dass wir den Kindern, die uns besuchen, eine Auszeit schenken können, die sie – und sei es auch nur für eine Minute – ihr Schicksal vergessen lässt. Es muss unsere Aufgabe sein, die Bewegungslosigkeit zu überwinden. Etwas zu tun.
    Es wird sich nicht vermeiden lassen – wir müssen umdenken. Mehr »wir«, weniger »ich«. In Deutschland ist dies noch immer ein Problem. Hier wird leider viel geredet und oft wenig gehandelt. Unsere Gesellschaft ist sehr vielschichtig und wir müssen sie mit anderen Gesellschaften auf der ganzen Welt synchronisieren. Deshalb müssen auch die Bedürfnisse aufeinander abgestimmt werden.
    Mir ist im Laufe der letzten Jahre immer klarer geworden, dass unglaublich viele Fragen noch offen sind: von der richtigen Umverteilung und sozialer Gerechtigkeit bis hin zu Perspektiven für Kinder und Jugendliche. Es ist alles kompliziert, vor allem aber scheint es geradezu unmöglich, den Egoismus Einzelner zu überwinden. Gerade jetzt
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