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Der Neue im Sportinternat

Der Neue im Sportinternat

Titel: Der Neue im Sportinternat
Autoren: Thomas Mindt
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kommentiert Leon die Zeichnung. »Sag mal, bist du so einer, der immer frische Rasierklingen dabei hat - für den Fall der Fälle?«
    »Und wenn?« Chocco starrt stoisch auf die Zeichnung und fügt noch einige lodernde Flammen hinzu.
    »Dein Vater hat dich so weit gebracht, stimmt's?«
    »Wie kommst du denn darauf?« Chocco sieht kurz zu Leon und konzentriert sich dann wieder auf die Zeichnung.
    »Is' nur 'ne Vermutung. Sag mal, was bedeutet Agnus Dei ?«
    »Lamm Gottes!«
    »Oh.« Leon denkt über Choccos Zeichnung sowie den Titel nach. Sein kleines Kunstwerk ist nicht unbedingt ein Zeichen dafür, dass er glücklich ist. Wer malt sich schon auf einen Scheiterhaufen?! Das Brillante daran ist, dass Chocco seine Verbrennung in Rekordtempo auf Papier inszeniert hat und das mit einer erstaunlichen Liebe zum Detail. Genie und Wahnsinn! Einen Jungen wie Chocco hat Leon noch nicht kennengelernt. Chocco ist so anders. Er spricht mit leiser Stimme und ihn umgibt etwas Sanftes. Leon findet, dass Chocco niedlich ist.
    »Ich weiß genau, was du jetzt denkst!«, sagt Chocco offensiv, als er Leons Blick bemerkt. »Aber meine XY-Chromosome sind nicht durcheinandergeraten! Es ist mir egal, was die anderen über mich sagen. Ich bin ein Junge! Und es ist überhaupt nicht wichtig, ob man einen Bartwuchs mit 16 hat oder nicht! Bei manchen Männern sprießt es erst ab 18.«
    »Is' das 'n Anflug von Paranoia? Bevor du mich weiter mit 'nem abgefahrenen Psychokram zutextest, lass dir gesagt sein ... Vergiss es einfach!« Leon lächelt Chocco an, streckt ihm die Hand entgegen und fragt: »Freunde?«
    Chocco ist irritiert. Mit allem hat er gerechnet, aber damit bestimmt nicht. Im Grunde ist das zu schön, um wahr zu sein. Am liebsten würde Chocco sich in den Arm kneifen, um zu überprüfen, ob er wirklich wach ist und das nicht nur träumt. »Freunde!«, wiederholt Chocco ebenfalls lächelnd. »Dann findest du also nicht, dass ich Beine wie Klingeldrähte habe und wie eine unterernährte Nachgeburt aussehe?«
    »Wie kommst du denn darauf? Toll! Mein neuer neurotischer Freund is' 'n Psycho!« Leon schüttelt den Kopf.
    Chocco lächelt noch ein wenig mehr. Er zerknüllt die Zeichnung und steckt den Zettel in die Hosentasche. Während des Unterrichts sieht er immer wieder lächelnd zu Leon. Leon ist froh darüber, jemanden wie Chocco gefunden zu haben. Zwar unterscheidet er sich stark von Leons bisherigen Freunden, aber dafür ist er kein Fiesling wie Falko.
    Leon beobachtet die Jungs in der Klasse und stellt fest, dass Falko den Ton angibt. Er provoziert und ist ein Großmaul. Niemand bietet ihm die Stirn. Alle scheinen zu kuschen, sogar die meisten Lehrer. Denniger mit seinen ewigen Hustenanfällen ist der Einzige, der durchgreift. Er lässt sich Falkos Benehmen nicht gefallen. Er tadelt Falko sogar dann, wenn der wieder einmal wie ein nasser Sack auf dem Stuhl sitzt und auf einem Streichholz kaut.
    Für Leon sieht Falko wie ein selbstverliebter Möchtegern-Mafioso aus. Falko hat sein Haar streng nach hinten gekämmt und mindestens eine halbe Tube Gel reingeschmiert. Eine schwere Goldkette ziert seinen Hals. Am rechten Ringfinger trägt er einen goldenen Siegelring. Um sein Handgelenk baumelt ein breites goldenes Armband. Falko ist der Einzige, der einen Anzug und ein weißes Hemd trägt, selbstverständlich von einem Edeldesigner. Er ist überheblich, arrogant und blasiert. Falko hat ein Allerweltsgesicht mit vielen Aknenarben. Sein Gesicht gleicht einer kraterreichen Mondoberfläche. Seine Augen sind schmal, genau genommen größere Schlitze. Leons Beobachtungen zufolge ist Falko so was wie der Horrorschrecken vom Internat. Nicht besonders rosige Aussichten!
    Mittagspause. Die ersten Unterrichtsstunden im Internat sind überstanden. Leon findet das Internat schrecklich und weiß noch nicht so recht, wie er dem Internatsleben begegnen soll. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass er sich damit anfreunden wird. Leon plagt das Heimweh. Er muss an seine Freunde und ganz besonders an Julian denken. Wie mag es ihm wohl nach dem Kuss-Vorfall ergehen? Ob seine Eltern ebenfalls überreagiert haben?
    Leon beschließt, sich eine zeitliche Frist zu setzen. Maximal sechs Wochen will er sich geben. Sollte er dann nach wie vor das Internat als unerträglich empfinden, will Leon in einer Nacht-und-Nebel-Aktion zu seiner Großmutter Colette nach Paris abhauen. Der großmütterlichen Hilfe kann er sich gewiss sein!
    Gemeinsam mit Chocco geht Leon in den
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