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Der Narr

Der Narr

Titel: Der Narr
Autoren: Stefan Papp
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mache ich dort? Auf Staatskosten ein paar Runden in der Grottenbahn drehen? Den Zwergeln die Nase schnäuzen?«
    »Machen Sie keine Scherze! Ein dringender Fall wartet auf Sie.«
    Remmel kratzte sich am Kopf. Schon wieder ein paar Haare in der Hand. Bald würde man ihn Meister Proper oder (schlimmer) Kojak nennen. Doch wer würde auf seine alten Tage noch eitel werden?
    Er griff nach den Neapolitaner-Waffeln. Leer! Das Süße und der Kaffee würden ihn noch umbringen, hatte der Betriebsarzt gemeint. Doch was ein ›schasaugata‹ Quacksalber von sich gab, war ihm herzlich ›wuascht‹. Was einen Menschen wirklich umbrachte, war Stress. Und den scheute der Wiener Beamte wie der Teufel das Weihwasser.
    »Warten's!«, keuchte er ins Telefon, bevor sein Chef noch damit beginnen konnte, seinen Auftrag zu erläutern. Er legte den Hörer beiseite. Seine uralten bleiernen Tischladen, die schon in k.u.k.-Zeiten zum Inventar der Polizei gehört haben mochten, konnte er nur mit beiden Händen öffnen. Quietschend gab die Lade nach. In den Bergen zahlreicher Kritzeleien musste noch eine halbe Packung Gummibärchen liegen. Mit vollem Mund nahm er den Hörer wieder auf: »Bin ganz Ohr, Chef!«
    »Die Tochter von Dr. Heisenstein wurde heute in Oberösterreich erstochen aufgefunden.«
    »Oberösterreich? Dann ist es ein Fall für die Kollegen in der Nietzschestraße«, antwortete Remmel wie aus der Pistole geschossen.
    »Ich habe natürlich vollstes Vertrauen in die Fähigkeiten der Linzer Kollegen. Aber ich bestehe darauf, dass jemand den Fall leitet, dem ich vertrauen kann.«
    ›Wieder einmal ein Rhetorikseminar besucht und in Gedanken bei deinen Zinnsoldaten gewesen?‹, dachte Remmel. Er stellte sich den hageren Kollegen mit Schnauzbart gerade vor, wie er am Telefon vor seiner Zinnsoldatensammlung im Büro saß – martialisch wie immer, aufrecht, vielleicht sogar ein wenig steif. Je älter er wurde, desto mehr wirkte sein alter Freund aus Zeiten der Polizeischule wie ein spartanischer alter k.u.k.-Offizier.
    Die Gummibären waren zu schnell leer gewesen. Nochmal nach vorne beugen, vielleicht hatte er in der Schublade irgendetwas übersehen.
    Der Bauch war im Weg. Doch die Not machte auch einen ›Bladen‹ agil. Als er keuchend das Innere der Bleilade Millimeter für Millimeter abtastete, während sein Chef über den Auftrag redete, war nichts zu finden. Restlos geplündert. Neben der funktionsuntüchtigen Dienstwaffe lagen nur mehr ein paar Minzdrops am Tisch, die von ihm eigentlich nur gegen schlechten Atem gedacht waren. Nichts Süßes greifbar zu haben, machte die Gier unerträglich.
    Dr. Heisenstein, der Emporkömmling, der mit fast vierzig schon an der Spitze des Bankwesens in Oberösterreich mitmischte. Bei irgendeinem Heurigenbesuch emotional gestörter Promis mit Geltungsdrang waren er und der Präsident Freunde geworden. So manches Verkehrsdelikt wegen Trunkenheit am Steuer soll, wenn man der Gerüchteküche glauben darf, an jenem Abend aus dem Polizeicomputer nachträglich heimlich, still und leise verschwunden sein.
    Remmel beschloss, die Freundschaft der beiden nicht zu weiter zu hinterfragen. Er tat dies nicht etwa aus Angst, denn als pragmatisierter Beamter hätte er seinem Vorgesetzten durchaus sprichwörtlich mit dem Arsch ins Gesicht springen können, sondern weil jeder Einwand zu einem Plädoyer für den wunderbaren Dr. Heisenstein führen würde. Sogar der Polizeisportverein profitierte von den zahlreichen Spenden seiner Bank. Hätte der Bankier sein Geld in die Verbesserung der Kantine investiert, hätte Remmel bereits während des Telefonats einen Kollegen aufgefordert, die erforderlichen Akten zu holen.
    Der Polizeipräsident fuhr endlich fort, über den Fall zu sprechen. In der Zwischenzeit biss Remmel in ein altes und brüchiges Minzbonbon. Er überlegte sich, ob es legal war, einem Beamten aus der Bundeshauptstadt das Kommando über die Ermittlungen in einem anderen Bundesland zu übertragen. Wie schnell Dienstwege doch umgangen werden konnten, wenn man an der richtigen Stelle saß.
    Jemand wie er hätte für die Umgehung eines Dienstweges einen schriftlichen Antrag stellen müssen. Natürlich würden Monate vergehen, nur um eine Ablehnung zu erhalten. Konsequenterweise hätte er in der Wartezeit jeden anderen Dienstweg boykottiert, weil ›die da oben‹ sein Anliegen nicht ernst genug nähmen und um sein Recht auf Protest auszuleben. Ein Beamter war für Remmel somit nicht faul, sondern ein stiller
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