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Der Narr

Der Narr

Titel: Der Narr
Autoren: Stefan Papp
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abheben oder das Handy ausschalten würde.
    »Servaaaas!« Sein Freund kam im gewohnten oberösterreichischen Dialekt gleich zum Punkt: »He, woa do nu wos gestern?«
    Horst stellte eine gute Frage: War gestern noch etwas? Der Unterschied zwischen ihm und seinem leicht nervösen Freund war, dass der auch dann unerbittlich Fragen stellte, wenn er sich an 99% des Vortages noch erinnern konnte. Das unsichere eine Prozent ließ ihm keine Ruhe. Es plagte und quälte ihn, zwang ihn immer wieder dazu, die Wiederwahltaste zu drücken.
    »Du hast gestern die Hosen runtergelassen und laut geschrien ›In C++ programmieren ist für’n Arsch!‹«, gähnte Sam. Was sonst sollte er jemandem antworten, nach dessen Anruf man am Tag danach die Uhr stellen konnte.
    »Woa I amoi länger am Klo oder so?«
    Die Frage nach dem skandalösen Toilettenbesuch. Für gewöhnlich fragte Horst als erstes, ob er jemandem peinlichen Schwachsinn erzählt hatte.
    »Du bist mit Django aufs Klo marschiert, um ihm zu zeigen, was ein Pointer ist. Als er zurückgekommen ist, hatte er einen Gang wie John Wayne und ein Grinsen im Gesicht.«
    Obwohl Horst Sams Standardantworten zu seinen Fragen bereits kannte, blieb er hartnäckig. »He, jetzt ohne Schaß! Manst es is irgendwos passiert, wos ma peinlich sei kunnt?«
    Er wollte also tatsächlich wissen, ob er sich nach mehr als vier Gläsern Bier womöglich volltrunken blamiert hatte!
    »Schau auf Facebook! Da ist ein Video von dir, wie du dir bei dem Versuch, deinen berüchtigten ›Bierschaß‹ anzuzünden, den Arsch verbrennst.«
    Sam ging die Standardfragen mit den entsprechenden korrekten Antworten durch:
    Nein, du warst artig. Nein, du hast nichts angestellt. Nur den üblichen Mist gequasselt, den jeder so nach drei Bier von sich gibt. Ja, die Hände bei dir gelassen. Nein, keine Frauen und auch keine Männer bezirzt. Nein, du bist von niemandem angepöbelt worden und du hast auch niemanden belästigt. Ja, ich schwör’s!
    Sam seufzte und blickte auf die Uhrzeit am Display, als sein Freund weitersprach. Das Textfenster der Kurznachrichten war offen. Er hatte am Vorabend scheinbar versucht, eine SMS zu verfassen.
    »Follow the white rabbit!«
    Verglichen mit Menschen, die im Suff einfach nur wie Irre lachten, sangen oder tanzten, grenzten Sams Rauscheingebungen an Wahnsinn. Sturzbesoffen war er felsenfest davon überzeugt, auf Fragen des Universums die genialsten Antworten parat zu haben. Zwei Probleme verkomplizierten seine Geniestreiche: Würde er sich am Tag danach noch an seine genialen Ergüsse erinnern können und – wenn ja – würde er diese göttlichen Eingebungen noch verstehen?
    Laut Entwurfsansicht der SMS war sie um 3:46 gespeichert worden.
    Irgendwo inmitten des ›Fragebombardements‹ legte Sam auf. Es hätte auch nichts gebracht, sich bei Horst zu erkundigen, was er noch wusste. Sams Filmriss war eindeutig entstanden, nachdem sein Saufkumpan plötzlich unerwartet aufbrechen musste. Und das obwohl er fünf Minuten zuvor noch selbstbewusst auf oberösterreichisch geprahlt hatte: »He, a Bier geht scho nu! Es is ma do scheißegal, wenn die Oide sempert.«
    So mancher Student musste sich in Österreich an Blackouts gewöhnen und lernen zu akzeptieren, manchmal nicht zu wissen, in welche Peinlichkeiten er am Vortag geraten war. Speziell für einen Programmierer war ein Bier der kürzeste Weg, um ›wieder in die normale Welt zurückzukehren‹. Sam machte sich nichts vor: Wer auf Parties Gas gab, konnte schwer einen Gang zurückschalten.
    Doch die Sauferei hatte auch etwas Positives: Solange Sam trank, hielten seine Trinkkumpanen ihn für einen Einheimischen. Als ›Weltenbummler im Anhang der Eltern‹ war er bereits viel herumgekommen und nahm Sprachgewohnheiten schnell an und so konnte er auch bald alle Trinksprüche in perfektem Oberösterreichisch aufsagen. Der wochenendliche Vollrausch war sein Beitrag für die Integration in die alpenländliche Gesellschaft.
    Es wurde langsam Zeit, den Vortag in Gedanken zu rekonstruieren.
    Westernbar. Horst gegen 21:00 Uhr getroffen. Die ersten Freistädter bestellt. Um 22:00 Uhr vermutlich das Dritte. Auf der Toilette kurzes Geplauder mit Django, der schon am frühen Nachmittag gekommen war.
    »Nein, ich halte es für keine so gute Idee, Bier aufs Dekolleté der Kellnerin zu schütten. Das ist nicht nur nicht lustig, es ist auch schade ums Bier. Ja, dass du jetzt mitten am Toilettenboden dein Geschäft verrichten willst, unterstreicht
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