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Der Narr

Der Narr

Titel: Der Narr
Autoren: Stefan Papp
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Nummer nicht auswendig merken. Jeder Zettel, auf dem er sie notiert hatte, war irgendwann inmitten eines heillosen Durcheinanders verloren gegangen.
    »Kommst jetzt oder kommst jetzt nicht?«
    »Sofort«, murmelte sie. »Ich muss die neue Navi-App noch fertig runterladen. Stell dir vor, die hat nur 49 Euro gekostet!«
    »Wie viel ist das in Schilling?«
    Seine Einstellung zur Hektik musste er Hanni nicht erklären. Nur manchmal, wenn sich die Kollegen Zeit ließen, in die Mittagspause aufzubrechen, wurde er unruhig. Richtig schnell wurde er dann, wenn es ›freie Muffins solange der Vorrat reicht‹ in der Kantine gab. Dann kam Leben in ihm auf. Einmal hätte es fast eine Katastrophe gegeben, als er am Weg zum Essenfassen beinahe eine Kindergruppe niedergetrampelt hatte, die zu einem Exkursionsbesuch im Amt war. Die Lehrerin, die ihm nicht mehr ausweichen konnte und eine blaue Zehe davontrug, hatte sich danach heftig darüber beschwert, dass er sich nicht einmal umgedreht und entschuldigt hatte.
    »Fünf Minuten!«
    Remmel sah seine Kollegin verwundert an. Diese ›App‹ musste wirklich etwas ganz Besonderes sein. Denn sonst war Hanni diejenige, die in allen Lebenslagen Gas gab.

Der Ge hängte

    »Runen wirst du finden, geratene Stäbe,
    Stäbe voll Stärke, Stäbe voll Heilkraft,
    Von dem Fürsten der Sänger gefärbt,
    Von mächtigen Göttern gemacht;
    Es ritzte sie Ragna-Hropt«
    ― Edda, Havamal

    Aus den Lautsprechern des Autos dröhnte Beethovens ›Ode an die Freude‹. Doch es war nicht der Engelschor, der frohlockende Gesänge in die Welt hinausposaunte. Kurt Sowinetz hatte aus der Europahymne ein neues Wienerlied gemacht. Remmel wippte mit seinen Füssen beim Refrain mit.
    »Olle Menschen samma z’wida, I mecht’s in de Gosch’n hau’n
    Mir san olle Menschen z’wida, in de Gosch’n mecht’ I’s haun.«
    »Es ist doch nur ein Stammtisch!«
    »Nur ein Stammtisch?«
    Remmel plagte sich immer noch mit dem Sicherheitsgurt. Er spürte, wie Schweißperlen auf seine Stirn traten. Der Gurt wollte und wollte nicht in die Verankerung.
    Wie sehr er Autos hasste! Ginge es nach ihm, müsste jeder Bürger ausnahmslos mit der U-Bahn oder dem Zug fahren. Autos, aber auch Fahrräder, sollte man verbieten. Ausnahmslos! Einzig diese Elektro-Scooter, mit denen manche Menschen seiner Gewichtsklasse auf der Mariahilferstraße von Einkaufszentrum zu Einkaufszentrum kurvten, sollten noch als fahrbarer Untersatz erlaubt sein.
    Verdammte Gurte! Entweder waren sie kindersicher oder aber einfach nicht für Leute mit seinem Bauchumfang konzipiert.
    Autofahren war an sich schon eine Tortur für den 44-jährigen, aber die geliebte Heimatstadt verlassen zu müssen, machte jeden Ausflug zur Tragödie. Kaum hatten sie die Stadtgrenze passiert, bekam er bereits Heimweh. Wie er es schon als Kind gehasst hatte, früh morgens noch im Halbschlaf mit einem von den Eltern geplanten Wanderausflug in die Rax überrascht zu werden! Die Erinnerung an das »Gotti, aufstehen, der Berg ruft!« löste bei ihm die gleichen Reaktionen aus, wie der morgendliche Ruf zur Tagwache bei manchem Rekruten. Eltern, die ihre Kinder zwangen, lustige Wanderlieder zu singen, gehörten wegen Verbrechens gegenüber der Menschlichkeit angeklagt.
    »Privat ist halt privat!«, grummelte er und hoffte, damit einen Schlussstrich unter jede Diskussion gesetzt zu haben. Niemand sollte je erfahren, dass es ihm schon etwas bedeutete, was Hanni von ihm hielt. Es bedeutete ihm nicht viel, natürlich nicht, aber eben gerade genug, dass man es auf ›gut österreichisch‹ ein wenig herunterspielen würde. Immerhin war sie auch die einzige Kollegin, die zumindest hin und wieder zu ihm hielt.
    Das Wichtigste aber war, nicht einen falschen Eindruck zu erzeugen. In der Öffentlichkeit wie ein Dickhäuter dazustehen, der unterdrückte Emotionen aus dem dunkelsten Kellerabteil seines Unterbewusstseins entwischen hatte lassen, war für ihn genauso reizvoll wie eine Radikaldiät.
    Sonst hätte er Hanni vielleicht schon gesagt, dass sie ein kokettes Lächeln hatte. Auch dass man ihr ansah, dass sie viel Pilates und Yoga betrieb, würde er zumindest dezent anmerken wollen. Nicht zu direkt, denn ein bisschen kollegiale Distanz musste da schon sein. Aber Remmel war durchaus nicht ungerührt. Wie sie die jüngere Konkurrenz manchmal blass werden ließ! Einmal hatte er sogar überlegt, ihr wenigstens zu sagen, dass ihm ihre modischen Frisuren in Kinnlänge und Tönungen im
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