Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Name der Rose

Der Name der Rose

Titel: Der Name der Rose
Autoren: Umberto Eco
Vom Netzwerk:
Artusromanen bis zu den Geschichten von Tolkien und umfaßt auch die Gothic Novel, die gerade nicht novel ist, sondern eben romance . Geschichte als Bühnenbild, als Vorwand und phantastische Konstruktion, um der Einbildung freien Lauf zu lassen. Darum braucht die Romanze auch gar nicht in der Vergangenheit zu spielen, es genügt, daß sie nicht im Hier und Jetzt spielt, daß sie nicht vom Hier und Jetzt redet, nicht einmal allegorisch. Viele Science-Fiction-Romane sind reine Romanzen. Die Romanze ist die Geschichte eines Woanders .
    Dann gibt es den Mantel-und-Degen-Roman, Beispiel Dumas. Der Mantel-und-Degen-Roman nimmt einen »realen« und erkennbaren Abschnitt aus der Geschichte, bevölkert ihn, um ihn erkennbar zu machen, mit Persönlichkeiten, die in den Geschichtsbüchern stehen (Richelieu, Mazarin), und läßt sie ein paar Dinge tun, die nicht in den Geschichtsbüchern stehen (daß sie Mylady treffen, daß sie Kontakte zu einer gewissen Bonacieux haben), die aber den Geschichtsbüchern auch nicht widersprechen. Natürlich müssen diese Persönlichkeiten, um den Eindruck der historischen Realität zu bekräftigen, dann auch das tun, was sie (den Historikern zufolge) wirklich getan haben (La Rochelle belagern, intime Beziehungen zu Anna von Österreich unterhalten, mit der Fronde zu tun bekommen). In dieses »wahrheitsgemäße« Tableau werden alsdann Phantasiegestalten eingefügt, die aber Gefühle und Reaktionen bezeugen, wie man sie auch Gestalten aus anderen Epochen zuschreiben könnte. Was d'Artagnan tut, während er in London den Schmuck der Königin wiederbeschafft, hätte er auch im 15. oder 18. Jahrhundert tun können. Man braucht nicht im 17. Jahrhundert zu leben, um die Psychologie d'Artagnans zu haben.
    Im wahren historischen Roman, dem dritten Typus, brauchen dagegen keine »bekannten Persönlichkeiten« aus den Geschichtsbüchern aufzutreten. Man denke nur an Die Verlobten : Die bekannteste Persönlichkeit ist der Kardinal Federigo, den vor Manzoni nur wenige kannten (viel bekannter war der andere Borromeo, San Carlo). Doch alles, was Renzo, Lucia oder Fra Cristoforo tun, konnte nur in der Lombardei des 17. Jahrhunderts getan werden. Das Handeln und Denken der Romanpersonen dient zum besseren Verständnis der Geschichte. Ereignisse und Personen sind erfunden, doch sie sagen uns über das Italien jener Zeit Dinge, die uns von den Geschichtsbüchern niemals so klar gesagt worden waren.
    In diesem Sinne wollte ich einen historischen Roman schreiben: »historisch« nicht, weil Ubertin von Casale und Michael von Cesena (oder Bernard Gui und Kardinal del Poggetto) wirklich existiert haben und mehr oder weniger das sagen sollten, was sie wirklich gesagt haben, sondern weil alles, was fiktive Personen wie William sagen, in jener Epoche sagbar sein sollte.
    Ich weiß nicht, wie treu ich diesem Vorsatz geblieben bin. Ich glaube nicht, daß ich ihn mißachtet habe, wenn ich Zitate von späteren Autoren (wie Wittgenstein) als Zitate aus der Epoche maskierte. In solchen Fällen wußte ich schließlich sehr genau, daß es nicht meine Mittelalterlichen waren, die da modern redeten, sondern daß allenfalls die Modernen da ein bißchen mittelalterlich dachten. Ich frage mich eher, ob ich meinen Personen nicht manchmal ein etwas zu weitgreifendes Kombinationsvermögen verliehen habe, das heißt eine Fähigkeit, aus den disiecta membra ganz und gar mittelalterlicher Gedanken ein paar begriffliche Hirngespinste zusammenzufügen, die das Mittelalter 50 nicht als die seinen anerkannt hätte. Doch ich glaube, daß ein historischer Roman auch dies tun muß: nicht nur in der Vergangenheit die Ursachen dessen aufspüren, was in der Folge entstanden ist, sondern auch den Prozeßverlauf angeben, durch den jene Ursachen dann allmählich begannen, ihre Wirkungen zu zeitigen.
    Wenn einer von meinen Mönchen durch den Vergleich zweier mittelalterlicher Ideen auf eine dritte modernere kommt, so tut er genau das, was »die Kultur« in der Folge getan hat – und mag auch damals nie jemand geschrieben haben, was er da sagt, so ist doch sicher, daß es jemand, wie konfus auch immer, zu denken begonnen haben mußte (womöglich ohne es auszusprechen, aus wer weiß wieviel Ängsten und Schamgefühlen).
    In jedem Fall hat mich eines sehr amüsiert: Wann immer mir ein Kritiker oder ein Leser schrieb oder sagte, da oder dort vertrete einer von meinen Mönchen zu moderne Gedanken, waren die inkriminierten Stellen genau und ausschließlich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher