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Der Name der Rose

Der Name der Rose

Titel: Der Name der Rose
Autoren: Umberto Eco
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die Kampfparole der Futuristen, ist ein typisches Programm jeder Avantgarde, man muß nur etwas Passendes an die Stelle des Mondscheins setzen. Die Avantgarde zerstört, entstellt die Vergangenheit: Picassos Demoiselles d'Avignon sind die typische Auftrittsgebärde der Avantgarde; dann geht die Avantgarde weiter, zerstört die Figur, annulliert sie, gelangt zum Abstrakten, zum Informellen, zur weißen Leinwand, zur zerrissenen Leinwand, zur verbrannten Leinwand; in der Architektur ist das Ende die Minimalbedingung des Curtain Wall, das Bauwerk als glatte Stele, das reine Parallelepiped, in der Literatur die Zerstörung des Redeflusses bis hin zur Collage à la Burroughs, bis hin zum Verstummen oder zur leeren Seite, in der Musik der Übergang von der Atonalität zum Lärm, zum bloßen Geräusch oder zum totalen Schweigen (in diesem Sinne ist der frühe Gage ein Moderner).
    Es kommt jedoch der Moment, da die Avantgarde (also die Moderne) nicht mehr weitergehen kann, weil sie inzwischen eine Metasprache hervorgebracht hat, die von ihren unmöglichen Texten spricht (die Concept Art). Die postmoderne Antwort auf die Moderne besteht in der Einsicht und Anerkennung, daß die Vergangenheit, nachdem sie nun einmal nicht zerstört werden kann, da ihre Zerstörung zum Schweigen führt, auf neue Weise ins Auge gefaßt werden muß: mit Ironie, ohne Unschuld. Die postmoderne Haltung erscheint mir wie die eines Mannes, der eine kluge und sehr belesene Frau liebt und daher weiß, daß er ihr nicht sagen kann: »Ich liebe dich inniglich«, weil er weiß, daß sie weiß (und daß sie weiß, daß er weiß), daß genau diese Worte schon, sagen wir, von Liala geschrieben worden sind. Es gibt jedoch eine Lösung. Er kann ihr sagen: »Wie jetzt Liala sagen würde: Ich liebe dich inniglich.« In diesem Moment, nachdem er die falsche Unschuld vermieden hat, nachdem er klar zum Ausdruck gebracht hat, daß man nicht mehr unschuldig reden kann, hat er gleichwohl der Frau gesagt, was er ihr sagen wollte, nämlich daß er sie liebe, aber daß er sie in einer Zeit der verlorenen Unschuld liebe. Wenn sie das Spiel mitmacht, hat sie in gleicher Weise eine Liebeserklärung entgegengenommen. Keiner der beiden Gesprächspartner braucht sich naiv zu fühlen, beide akzeptieren die Herausforderung der Vergangenheit, des längst schon Gesagten, das man nicht einfach wegwischen kann, beide spielen bewußt und mit Vergnügen das Spiel der Ironie … Aber beiden ist es gelungen, noch einmal von Liebe zu reden.
    Ironie, metasprachliches Spiel, Maskerade hoch zwei. Weshalb es dann – wenn beim Modernen, wer das Spiel nicht verstand, es nur ablehnen konnte – beim Postmodernen auch möglich ist, das Spiel nicht zu verstehen und die Sache ernst zu nehmen. Das ist ja das Schöne (und die Gefahr) an der Ironie: Immer gibt es jemanden, der das ironisch Gesagte ernst nimmt. Ich denke, die Collagen von Braque, Juan Gris und Picasso waren »modern«: Deswegen wurden sie vom normalen Publikum abgelehnt. Dagegen waren die Collagen, die Max Ernst aus alten Stichen montierte, »postmodern«: Man konnte und kann sie auch wie phantastische Traum- oder Abenteuergeschichten lesen, ohne zu merken, daß sie einen Diskurs über alte Stiche darstellen und vielleicht auch einen über das Collagieren selbst. Wenn dies aber postmodern ist, dann liegt auf der Hand, warum Sterne oder Rabelais postmoderne Autoren waren, warum Borges gewiß einer ist, und warum in ein und demselben Künstler moderne und postmoderne Elemente koexistieren, einander kurzfristig ablösen oder auch alternieren können. Man denke zum Beispiel an Joyce: Das Portrait ist die Geschichte eines modernen Versuchs. Die Dubliners sind, obwohl früher, moderner als das Portrait. Ulysses steht auf der Grenze. Finnegans Wake ist schon postmodern oder eröffnet zumindest den postmodernen Diskurs, denn er verlangt, um verstanden zu werden, nicht die Negation des bereits Gesagten, sondern dessen ironische Neureflexion.
    Über den Postmodernismus ist schon fast alles gleich am Anfang gesagt worden (namentlich in Aufsätzen wie »Die Literatur der Erschöpfung« von John Barth aus dem Jahr 1967). 137 Nicht daß ich immer mit allem einverstanden wäre, was die Theoretiker des Postmodernismus (Barth inklusive) über Autoren und andere Künstler schreiben, um jeweils festzulegen, wer schon postmodern ist und wer noch nicht. Aber mich interessiert das Theorem, das die Theoretiker dieser Richtung aus ihren Prämissen ableiten:
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