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Der Name der Rose

Der Name der Rose

Titel: Der Name der Rose
Autoren: Umberto Eco
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mein Spiel mitmachte. Ich wollte ganz und gar mittelalterlich werden und im Mittelalter leben, als wäre es meine Zeit (und umgekehrt). Aber gleichzeitig wollte ich auch mit allen Kräften, daß ein Leser Gestalt annähme, der nach überstandener Initiation meine Beute würde, beziehungsweise die Beute des Textes, und dann nichts anderes mehr zu verlangen glaubte als das, was der Text ihm bot. Ein Text will für seinen Leser zu einem Erlebnis der Selbstveränderung werden. Du glaubst, du willst Sex und Crime und viel Action, eine spannende Krimistory, bei der am Ende herauskommt, wer der Schuldige ist, aber du würdest dich schämen, einen ehrwürdigen Schauerschinken mit schwarzen Händen des Todes und finsteren Ränkeschmieden im Klostergemäuer zu akzeptieren. Na schön, ich gebe dir einen Haufen Latein und wenig Frauen und Theologie in Hülle und Fülle und Blut in Strömen wie weiland im Grand Guignol, bis du protestierst: »Nein, alles falsch, da mach ich nicht mit!« Und an diesem Punkt mußt du soweit sein, daß ich dich habe, daß du den Schauder der unendlichen Allmacht Gottes verspürst, die jede Ordnung der Welt zunichte macht. Und wenn du dann gut bist, erkennst du sogar, wie ich dich in die Falle gelockt habe, schließlich hatte ich's dir bei jedem Schritt deutlich gesagt, ich hatte dich unüberhörbar gewarnt, daß ich dabei war, dich ins Verderben zu ziehen! Aber das Schöne an Teufelspakten ist ja gerade, daß man sie klarsichtig unterschreibt, wissend, mit wem man sich einläßt. Wofür käme man sonst zum Lohn in die Hölle?
    Und da ich bei alledem wollte, daß als vergnüglich genommen werde, was uns als einziges wirklich zittern macht, nämlich der metaphysische Schauder, blieb mir nichts anderes übrig, als unter den Handlungsmustern das metaphysischste und philosophischste auszuwählen, nämlich den Kriminalroman.

Die Metaphysik des Kriminalromans
    Nicht zufällig fängt das Buch an, als ob es ein Krimi wäre (und täuscht den naiven Leser auch weiterhin, bis zum Schluß, weshalb er womöglich gar nicht merkt, daß es sich hier um einen Krimi handelt, in dem recht wenig aufgeklärt wird und der Detektiv am Ende scheitert). Ich glaube, daß Krimis den Leuten nicht darum gefallen, weil es in ihnen Mord und Totschlag gibt; auch nicht darum, weil sie den Triumph der (intellektuellen, sozialen, rechtlichen und moralischen) Ordnung über die Unordnung feiern. Sondern weil der Kriminalroman eine Konjektur-Geschichte im Reinzustand darstellt. Eine Geschichte, in der es um das Vermuten geht, um das Abenteuer der Mutmaßung, um das Wagnis der Aufstellung von Hypothesen angesichts eines scheinbar unerklärlichen Tatbestandes, eines dunklen Sachverhalts oder mysteriösen Befundes – wie in einer ärztlichen Diagnose, einer wissenschaftlichen Forschung oder auch einer metaphysischen Fragestellung. Denn wie der ermittelnde Detektiv gehen auch der Arzt, der Forscher, der Physiker und der Metaphysiker durch Konjekturen vor, das heißt durch Mutmaßungen und Vermutungen über den Grund der Sache, durch mehr oder minder kühne Annahmen, die sie dann schrittweise prüfen. 133 Letzten Endes ist die Grundfrage aller Philosophie (und jeder Psychoanalyse) die gleiche wie die Grundfrage des Kriminalromans: Wer ist der Schuldige? Um es zu wissen (um zu glauben, man wisse es), muß man annehmen, daß alle Tatsachen eine Logik haben, nämlich die Logik, die ihnen der Schuldige auferlegt hat. Jede Ermittlungs- und Konjekturgeschichte, jede Story von Aufklärung und Vermutung erzählt uns etwas, dem wir seit jeher beiwohnen (pseudoheideggerisches Zitat). Damit ist klar, warum sich der Hauptstrang meiner Geschichte (wer ist der Mörder?) in so viele Nebenstränge verzweigt: in lauter Geschichten von anderen Konjekturen, die alle um die Struktur der Vermutung als solcher kreisen.
    Ein abstraktes Modell der Vermutung ist das Labyrinth. Allerdings gibt es drei Arten von Labyrinthen. Erstens das klassisch-griechische, das des Theseus. In diesem Labyrinth kann sich niemand verirren: Man tritt ein und gelangt irgendwann ins Zentrum und vom Zentrum wieder zum Ausgang. Darum sitzt im Zentrum der Minotaurus, andernfalls hätte die Sache gar keinen Reiz und wäre ein simpler Spaziergang.
    Spannend wird sie, wenn überhaupt, nur dadurch, daß man nicht weiß, wohin man gelangt und was der Minotaurus dann tut. Aber wenn man das klassische Labyrinth auseinanderzieht, hat man einen Faden in der Hand, den Faden der Ariadne. Das
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