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Der Name der Rose

Der Name der Rose

Titel: Der Name der Rose
Autoren: Umberto Eco
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klassische Labyrinth ist der Ariadne-Faden seiner selbst.
    Zweitens gibt es das barock-manieristische Labyrinth, den Irrgarten. Wenn man es auseinanderzieht, erhält man eine Art Baum, ein Gebilde mit zahlreichen Ästen und Zweigen aus toten Seitengängen. Es hat einen Ausgang, aber der ist nicht leicht zu finden. Man braucht einen Faden der Ariadne, um sich nicht zu verirren. Dieses Labyrinth ist ein Modell des trial-and-error- Verfahrens.
    Drittens schließlich gibt es das Labyrinth als Netzwerk oder, um den Begriff von Deleuze und Guattari aufzunehmen, als Rhizom. Das Rhizom-Labyrinth ist so vieldimensional vernetzt, daß jeder Gang sich unmittelbar mit jedem anderen verbinden kann. Es hat weder ein Zentrum noch eine Peripherie, auch keinen Ausgang mehr, da es potentiell unendlich ist. Der Raum der Mutmaßung ist ein Raum in Rhizomform. Das Labyrinth meiner Bibliothek ist zwar noch ein manieristisches, aber die Welt, in der zu leben William begreift, ist schon rhizomförmig strukturiert – oder jedenfalls strukturierbar, wenn auch nie definitiv strukturiert.
    Ein achtzehnjähriger Junge sagte mir nach Lektüre des Buches, er habe nichts von den theologischen Diskussionen begriffen, aber sie wirkten im Buch wie Verlängerungen des räumlichen Labyrinths (wie thrilling music in einem Hitchcock-Film). Ich glaube, es ist wohl tatsächlich so etwas geschehen: Auch der naivste Leser hat instinktiv gespürt, daß er vor einer Geschichte von Labyrinthen stand – und nicht nur von räumlichen Labyrinthen. Man könnte geradezu sagen, daß die naivsten Lesarten eigenartigerweise die »strukturellsten« waren: Der Leser ist unmittelbar, ohne Vermittlung durch die Inhalte, mit der Tatsache in Berührung gekommen, daß es unmöglich ist, nur eine Geschichte zu haben.

Die Unterhaltung
    Ich wollte den Leser unterhalten, er sollte Spaß an der Sache haben. Zumindest soviel, wie ich daran hatte. Dies ist ein sehr wichtiger Punkt, der scheinbar im Gegensatz zu den reflektiertesten Ansichten steht, die wir vorn Roman zu haben meinen.
    Unterhalten heißt nicht zerstreuen, ablenken von den Problemen. Robinson Crusoe will seinen Idealleser unterhalten, indem er von Buchhalteroperationen erzählt, von Alltagsverrichtungen eines braven homo oeconomicus , der diesem Leser sehr ähnelt. Doch der Robinson-Ähnliche soll, während er sich an der Lektüre seiner selbst in Robinson Crusoe ergötzt, auch etwas mehr über sich selbst begreifen und damit ein anderer werden. Er soll, während er sich unterhält, etwas lernen. Ob der Leser etwas über die Welt oder etwas über die Sprache lernen soll, ist eine Frage, in der die Poetiken der erzählenden Kunst divergieren, aber das ändert nichts an der Grundidee. Der Idealleser von Finnegans Wake soll sich am Ende genausogut unterhalten wie der Leser von Winnetou . Zumindest genausogut. Allerdings auf andere Weise.
    Nun ist jedoch der Begriff Unterhaltung historisch. Es gibt verschiedene Arten von Unterhaltung für jede »Saison« des Romans. Unbestreitbar hat der moderne Roman versucht, die Unterhaltung durch den dramatischen Handlungsverlauf (den »Plot« oder das, was man früher »Intrige« nannte) abzubauen, um dafür andere Arten von Unterhaltung zu privilegieren. Ich als großer Bewunderer der Poetik des Aristoteles bin trotz allem immer der Ansicht gewesen, daß ein Roman auch und vor allem durch seine Handlung unterhalten soll.
    Zweifellos findet ein Roman, wenn er unterhaltsam ist, Anklang beim Publikum. Nun hat man jedoch eine Zeitlang geglaubt, daß Anklang beim Publikum (also Konsens und damit »Erfolg«) ein Zeichen für Minderwertigkeit sei. Wenn ein Roman beim Publikum Anklang finde, liege das daran, daß er nichts Neues bringe und den Lesern nur gebe, was sie bereits erwartet hätten.
    Ich glaube indessen nicht, daß es dasselbe ist, ob man sagt: »Wenn ein Roman den Lesern gibt, was sie erwartet haben, findet er Anklang«, oder ob man sagt: »Wenn ein Roman Anklang findet, liegt das daran, daß er den Lesern gibt, was sie erwartet haben.«
    Die zweite Behauptung ist nicht immer richtig. Man braucht nur an Defoe oder Balzac zu denken, um schließlich bei der Blechtrommel oder bei Hundert Jahre Einsamkeit anzukommen.
    Mancher wird nun hier einwenden, daß die Gleichsetzung von Konsens und Minderwertigkeit doch gerade bestärkt worden sei durch gewisse polemische Thesen, die wir seinerzeit in der »Gruppe 63« vertraten 134 , auch schon vor 1963, als wir den Erfolgsroman mit dem
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