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Der Name der Rose

Der Name der Rose

Titel: Der Name der Rose
Autoren: Umberto Eco
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akzeptiert worden ist«; dergleichen sei »stures Festhalten an den Wertmustern der historischen Avantgarde, und in diesem Moment ist der eventuelle Avantgardekritiker bloß noch ein verspäteter Marinettianer. Bedenken wir, daß die Inakzeptabilität der Botschaft für den Empfänger nur in einem ganz bestimmten historischen Augenblick eine Wertgarantie war … Ich fürchte, wir müssen allmählich auf jenen Hintergedanken verzichten, der immer noch unsere Debatten beherrscht, daß nämlich der äußere Skandal ein Prüfstein für den Wert einer Arbeit sei. Vielleicht muß sogar die fundamentale Dichotomie zwischen Ordnung und Unordnung, zwischen konsumorientiertem und provokatorischem Werk in einer anderen Perspektive neubestimmt werden, ohne daß sie damit an Gültigkeit zu verlieren braucht: Ich glaube nämlich, daß es möglich sein wird, Elemente von Bruch und Infragestellung auch in Werken zu finden, die sich scheinbar zu leichtem Konsum anbieten, und demgegenüber festzustellen, daß manche provokatorisch erscheinenden Werke, die das Publikum immer noch von den Sitzen reißen, in Wahrheit gar nichts in Frage stellen … Ich stoße noch immer auf Leute, die den Wert eines Werkes bezweifeln, weil es ihnen zu gut gefallen hat …« Und so weiter.
    Das war, wie gesagt, 1965. Die Zeit, als die Pop Art aufkam und damit die traditionellen Unterscheidungen zwischen experimenteller Kunst (als nicht-figurativer) und Massenkunst (als narrativer und figurativer) hinfällig wurden. Die Zeit, als man über die Beatles sprach und Pousseur mir sagte: »Sie arbeiten für uns« – ohne sich allerdings klarzumachen, daß er auch für sie arbeitete (und es mußte erst eine Cathy Berberian kommen, um uns zu zeigen, daß die Beatles, richtig zurückgeführt auf ihren Stammvater Henry Purcell, im Konzertsaal neben Monteverdi und Erik Satie aufgeführt werden konnten).

Postmodernismus, Ironie und Vergnügen
    In der Zeit von 1965 bis heute ließen sich zwei Gedanken endgültig klären. Erstens, daß man die Handlung auch in Gestalt von Zitaten anderer Handlungen wiederentdecken konnte, und zweitens, daß ein Zitat dann womöglich weniger brav und versöhnlerisch sein würde als die zitierte Handlung selbst (es war 1972, als ich bei Bompiani ein Sammelbändchen herausgab, das unter dem programmatischen Titel Ritorno dell'intreccio eben die »Wiederkehr der Intrige« beschwor, wenn auch vorerst nur durch ironische, aber zugleich bewundernde Rückbesinnungen auf Autoren wie Ponson du Terrail und Eugène Sue – sowie durch kaum ironisch verbrämte Bewunderung einiger großer Seiten von Dumas Père). Gab es damit die Möglichkeit zu einem neuen, nicht versöhnlerischen, hinreichend problemhaltigen und dabei amüsanten Roman?
    Diese Kombination, verbunden mit der Wiederentdeckung nicht nur der Handlung, sondern auch des Vergnügens, mußte erst noch von den amerikanischen Theoretikern des Postmodernismus besorgt werden.
    Unglücklicherweise ist »postmodern« heute ein Passepartoutbegriff, mit dem man fast alles machen kann. Ich habe den Eindruck, daß ihn inzwischen jeder auf das anwendet, was ihm gerade gefällt. Außerdem gibt es, wie mir scheint, eine Tendenz, ihn historisch immer weiter nach hinten zu schieben: Erst schien er auf einige Schriftsteller oder Künstler der letzten zwanzig Jahre zu passen, dann gelangte er, rückwärts durch die Jahrzehnte wandernd, allmählich bis zum Beginn des Jahrhunderts, dann ging er noch weiter zurück, und er ist immer noch unterwegs; bald wird die Kategorie des Postmodernen bei Homer angelangt sein.
    Ich glaube indessen, daß »postmodern« keine zeitlich begrenzbare Strömung ist, sondern eine Geisteshaltung oder, genauer gesagt, eine Vorgehensweise, ein Kunstwollen 136 . Man könnte geradezu sagen, daß jede Epoche ihre eigene Postmoderne hat, so wie man gesagt hat, jede Epoche habe ihren eigenen Manierismus (und vielleicht, ich frage es mich, ist postmodern überhaupt der moderne Name für Manierismus als metahistorische Kategorie). Ich glaube, daß man in jeder Epoche an Krisenmomente gelangt, wie sie Nietzsche im Zweiten Stück der Unzeitgemäßen Betrachtungen , über den »Nachteil der Historie für das Leben«, beschrieben hat. Die Vergangenheit konditioniert, belastet, erpreßt uns. Die sogenannte »historische« Avantgarde (aber auch hier würde ich Avantgarde als metahistorische Kategorie verstehen) will mit der Vergangenheit abrechnen, sie erledigen. »Nieder mit dem Mondschein!«,
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