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Der Nachtzirkus

Der Nachtzirkus

Titel: Der Nachtzirkus
Autoren: Erin Morgenstern
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den Kopf, aber keine davon ist wirklich wichtig.
    Er kennt die Antwort bereits.
    Seine Entscheidung wurde gefällt, als er zehn war, unter einem anderen Baum, sie ging einher mit Eicheln, einem Spiel und einem weißen Handschuh.
    Er wird sich immer für den Zirkus entscheiden.
    »Einverstanden«, sagt er. »Ich bleibe. Ich werde tun, was getan werden muss.«
    »Danke, Bailey«, sagt Celia leise. Die Worte klingen in seinem Ohr nach und nehmen ihm die letzte Nervosität.
    »Na schön«, sagt Marco. »Dann sollten wir das Ganze offiziell machen.«
    »Meinst du wirklich, das ist notwendig?«, fragt Celia.
    »Unter den gegebenen Umständen denke ich nicht daran, mich mit einem mündlichen Vertrag zu begnügen«, sagt Marco. Celia runzelt kurz die Stirn, nickt dann aber zustimmend, und Marco lässt behutsam ihre Hand los.
    »Soll ich etwas unterschreiben?«, fragt Bailey.
    »Nicht direkt«, sagt Marco. Er zieht einen silbernen Ring mit einer Gravur, die Bailey selbst im Licht nicht erkennen kann, vom Finger und lässt ihn durch eine der brennenden Kerzen auf dem Baum wandern, bis er weißglühend ist.
    Bailey überlegt, wessen Wunsch diese besondere Flamme wohl sein könnte.
    »Vor vielen Jahren habe ich mir etwas an diesem Baum gewünscht«, sagt Marco, als hätte er Baileys Gedanken gelesen.
    »Und was haben Sie sich gewünscht?« Bailey hofft, dass die Frage nicht zu vorlaut ist, aber Marco gibt ihm keine Antwort.
    Stattdessen schließt er die Hand um den glühenden Ring und hält sie Bailey hin.
    Bailey greift zögernd danach und erwartet, dass seine Finger so mühelos wie zuvor hindurchgleiten.
    Aber sie stoßen auf Widerstand, Marcos Hand ist nahezu fest.
    Er beugt sich vor und flüstert Bailey etwas ins Ohr.
    »Ich habe mir sie gewünscht«, sagt er.
    Der Ring brennt sich sengend heiß in Baileys Haut.
    »Was tun Sie da?«, bringt er mühsam hervor, als er wieder Luft bekommt. Der scharfe Schmerz fährt ihm durch den ganzen Körper, und er geht fast in die Knie.
    »Bindung«, sagt Marco. »Das ist eine meiner Spezialitäten.«
    Er lässt Baileys Hand los. Der Schmerz verschwindet augenblicklich, doch Bailey zittern immer noch die Beine.
    »Alles in Ordnung mit dir?«, fragt Celia.
    Bailey nickt und begutachtet seine Handfläche. Der Ring ist verschwunden, aber ein leuchtend roter Kreis hat sich in seine Haut gebrannt. Bailey braucht nicht zu fragen, ob ihm die Narbe für immer bleiben wird. Er schließt die Hand und schaut wieder zu Marco und Celia.
    »Und was muss ich jetzt tun?«

Die zweite Feuerzeremonie
    NEW YORK, 1 . NOVEMBER 1902
    B ailey findet problemlos das kleine mit Büchern gefüllte Zimmer. Der große schwarze Rabe in der Ecke beobachtet ihn neugierig, als er den Schreibtisch durchwühlt.
    Unruhig blättert er das große ledergebundene Buch durch, bis er die Seite mit Poppets und Widgets Unterschrift findet. Vorsichtig löst er sie aus der Bindung und entfernt sie komplett. Er sucht in der Schublade einen Füller und schreibt, wie man es ihm aufgetragen hat, seinen Namen quer über die Seite. Während die Tinte trocknet, sammelt er die übrigen nötigen Utensilien zusammen und geht dabei immer wieder die Liste im Kopf durch, damit er nichts vergisst.
    Das Garnknäuel ist schnell gefunden, es liegt auf einem Bücherstapel.
    Die beiden Karten – eine normale Spielkarte und eine Tarotkarte mit einem Engel – findet er unter den Papieren auf dem Schreibtisch.
    Die Tauben im Käfig über ihm rascheln leise mit den Federn.
    Nach der Taschenuhr an der langen Silberkette muss er am längsten suchen. Er entdeckt sie auf dem Boden neben dem Schreibtisch, und als er den Staub abwischt, sieht er die auf der Rückseite eingravierten Initialen: H. B. Die Uhr tickt nicht mehr.
    Bailey legt die lose Seite auf das Buch und klemmt es sich unter den Arm. Die Uhr und das Garnknäuel steckt er, zusammen mit der Kerze vom Wunschbaum, in die Taschen.
    Der Rabe neigt den Kopf, als er geht. Die Tauben schlafen weiter.
    Bailey durchquert das nächste Zelt und umrundet den doppelten Stuhlkreis, da es ihm nicht angemessen scheint, mittendurch zu gehen.
    Draußen regnet es immer noch leicht.
    Er eilt zurück zum Platz, wo Tsukiko ihn erwartet.
    »Celia meint, ich muss mir Ihr Feuerzeug borgen«, sagt er.
    Tsukiko neigt neugierig den Kopf, was ihr das seltsame Aussehen eines Vogels mit einem katzenhaften Grinsen verleiht.
    »Ich glaube, das ist machbar«, sagt sie nach einer Weile. Sie zieht ihr silbernes Feuerzeug aus der
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